martedì 11 novembre 2008

99 Sängerinnen + 1 Sänger = 100 Sänger?

Dass bei dieser Rechnung etwas nicht stimmen kann, liegt auf der Hand. Aber ohne gleich die ganze Mathematik oder Grammatik auf den Kopf zu stellen: Wer für soziale und rechtliche Gleichstellung von Frauen in unserer Gesellschaft eintritt, darf - um kohärent zu sein - auch die Sprache nicht vernachlässigen. Ein Plädoyer für die geschlechtersensible Sprache, die mit wenigen (Sprach)Handgriffen umzusetzten ist.

Was hat der Kampf gegen Sexismus – also die Diskriminierung einer Person aufgrund seines Geschlechts – damit zu tun, wie wir miteinander kommunizieren, also sprechen und schreiben? Sehr viel. Zwar ist die Gleichstellung von Mann und Frau schon sehr weit fortgeschritten (in der Schweiz dürfen Frauen erst seit 1971 wählen!) und in vielen Berufen, die früher als Männerhochburgen galten, finden sich heute viele Frauen. Und trotzdem: Immer noch verdienen Frauen im Durchschnitt weniger für dieselbe geleistete Arbeit (in Österreich rund 20%, EU-weit 15%; siehe hier) und sind in Spitzenpositionen unterrepräsentiert (nur 30% Frauen im EU-Durchschnitt).
Die Gründe dafür sind historisch einzuordnen, war unsere Gesellschaft über hunderte Jahre hinweg eine patriarchische, in der den Frauen der private Bereich (Haus und Haushalt) und den Männern der öffentliche Bereich (Politik, Handel usw.) zugeschrieben wurden. Einflussreiche Religionsströmungen tradieren zudem diese diskriminierenden Männer- und Frauenbilder weiter und nur langsam können diese überwunden werden. Es bedarf daher weiterer Anstrengungen, um die tatsächliche Gleichstellung in allen Lebensbereichen zu verwirklichen. 
Dazu gehört auch die Sprache. Denn unzweifelhaft ist die sie nicht nur unser wichtigstes Verständigungsmittel, sondern sie beeinflusst auch unser Bewusstsein und unsere Sichtweise der Wirklichkeit. Sie repräsentiert unsere Weltanschauung und trägt zur Bildung der sozialen und psychischen Identität bei. So werden gewisse Sachverhalte durch die Sprache untermauert, vorherrschende Bilder und Normen bestätigt, Minderheiten oder unerwünschte Positionen dagegen marginalisiert oder abgewertet. Da die Menschheit aus Frauen und Männern besteht, gilt es, auch in der sprachlichen Formulierung beide Geschlechter gleichermaßen zu berücksichtigen. 
Männer werden immer richtig eingeordnet, Frauen fast nie, denn in unserer Sprache gilt die Regel: 99 Sängerinnen und 1 Sänger sind zusammen 100 Sänger. Futsch sind die 99 Frauen, nicht mehr auffindbar, verschwunden in der Männerschublade. Die Metapher bewirkt, dass in unseren Köpfen nur Manns-Bilder auftauchen, wenn von "Arbeitern", "Dichtern", "Studenten", "Rentnern" oder "Ärzten" die Rede ist, auch wenn jene "Rentner" oder "Ärzte" in Wirklichkeit überwiegend Ärztinnen oder Rentnerinnen waren. (Luise Pusch) 
Zwischen Denken und Sprachverhalten bestehen enge Wechselwirkungen. Unsere Vorstellungen fließen in unsere sprachlichen Äußerungen ein, und die verwendeten Sprachformen beeinflussen wiederum unser Denken. Daher kann die Sprache den gesellschaftlichen Wandel unterstützen, indem sie mit neuen Formulierungen hilft, das Bewusstsein für das angestrebte Ziel zu stärken. Ein geschlechtergerechter Sprachgebrauch ist ein erster und wichtiger Schritt zur Umsetzung der Gleichstellung von Frauen und Männern.

Geschlechtersensible Sprache: Aber wie?  
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, um die geschlechtersensible Sprache anzuwenden. Hier eine kleine Auswahl:
Vollständige Paarform: "Arbeiterinnen und Arbeiter"
Verkürzte Paarform: "der Arbeiter / die Arbeiterin"
Binnen-I: "der/die ArbeiterIn"
Zusammenziehen (wenn nur Endung versch.): "ein/-e Arbeiter/-in"
Klammern: "die Arbeiter(innen)"
Neutrale Bezeichnungen: Person, Mitglied, Studierende, Putzkraft,...     

Aber… Argumente gegen gängige Einwände 
1.  Die weibliche Form sei in der männlichen enthalten. 
Das Maskulinum hat – wie durch diese Aussage behauptet – keine neutrale Funktion, da immer ein mehr oder weniger bewusstes Assoziieren stattfindet. Und wer denkt bei „Professoren“ schon an Männer UND Frauen? Diverse Untersuchungen zu den Assoziationsketten, d.h. den Gedanken, welche sich aus dem gelesenen bzw. gesprochenen Satz ergeben, zeigen, dass Frauen nicht vorkommen, wenn das „neutrale“ Maskulinum verwendet wird. Aus der Formulierung, „bereits um 1840 schrieben Mathematiker die ersten Computerprogramme“ würde niemand schließen, dass eine Frau (Lady Ada Lovelace) eines der ersten Computerprogramme geschrieben hat. Frauen werden dadurch unsichtbar, ignoriert und ausgeschlossen. 
2.  Die geschlechtersensible Sprache stört beim Lesen. 
Abgesehen davon, dass dies unweit weniger zu gewichten ist als die Vorteile einer solchen Sprache, nämlich die Gleichstellung zwischen Mann und Frau voranzutreiben, so ist es in erster Linie nur eine Gewohnheitssache. Die bestehende Sprachregelung ist uns vertraut. Es ist daher nicht verwunderlich, dass das absichtliche Durchbrechen des Gewohnten auf Widerstand stößt. Sprachgefühl und Ästhetik sind allerdings eine Konsequenz dieser Gewohnheit und nicht „Gottgegeben“. Viele Menschen, welche inzwischen die geschlechtersensible Sprache zu ihrem eigen gemacht haben, stören sich massiv an der undifferenzierten Schreibweise.
3.  Die geschlechtersensible Sprache ist grammatikalisch falsch. 
Eines muss klar sein: Sprache ist kein starres Gebilde, das jemand am Tag X erfunden hat und so bis in alle Ewigkeit Bestand hat. Im Gegenteil: Sprachen haben sich entwickelt und sie entwickeln sich weiter, d.h. sie verändern sich fortlaufend. Ein Beispiel dafür ist die Rechtschreibreform. Des Weiteren gibt auch die Duden-Redaktion – in gewisser Hinsicht der Leitwolf der deutschen Sprache – Möglichkeiten zur geschlechtersensiblen Sprache an.     

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