martedì 11 novembre 2008

Antifaschistisch? Wenn's hilft.

Unter trauernd anmutenden Trommeltönen und im Schein flackernder Fackeln wälzte sich der lange Menschenzug - die meisten in Tiroler Tracht - durch die Bozner Straßen. Gegen Faschismus - für Tirol, dieser Parole waren sie alle gefolgt. Aber worum ging es wirklich?
In den vergangenen Tagen war - neben einer breiten Begeisterung oder zumindest Zustimmung - auch negative Kritik an der geplanten Schützendemonstration laut geworden. "Antifascisti per caso" nannte es einer, "Provokation" eine andere. Und sogleich wurde die Redlichkeit dieser Kritiker(innen) in Frage gestellt, sie seinen doch gar keine echten Antifaschisten, diese würden nämlich an der Demo teilnehmen. Aber auch diese geäußerte Kritik ist noch eine schonende, die das Problem in seiner Gesamtheit nicht offenlegen kann oder will.
Denn die Organisatoren (ja, in diesem Fall ist die einseitig maskuline Schreibweise leider noch angebracht) benutzen den Konsens der ablehnenden Haltung gegenüber dem historisch italienischen Faschismus für ihre Zwecke. Was gibt es denn bei einer Demonstration gegen den Faschismus auszusetzen - kein vernünftiger Mensch würde etwas finden, und auch die Kritiker(innen) der Schützendemo taten sich diesbezüglich schwer. Die zentrale Frage muss aber lauten: Ging es bei der Demonstration wirklich um Faschismus bzw. ein Bekenntnis zum Antifaschismus (der auch die berechtigte Forderung nach der Schleifung der Relikte zulässt), oder wenn nein - um was dann?
Im Grunde ist die Antwort einfach, und sie wird auch nicht unterschlagen. Man muss nur genau hinsehen. Denn wenn es im Slogan der Demonstration "für Tirol" heißt, dann steckt dahinter natürlich die Forderung nach einem Tirol im Sinne der Veranstalter. Und diese ist mit Sicherheit nicht eine nach einem Südtirol der drei Sprachgruppen oder einer grenzüberschreitenden Europaregion Tirol, sondern klar und deutlich die nach einer Wiederangliederung Südtirols an das "Vaterland Österreich". 
Um genau das, nicht mehr und nicht weniger, ging es den Schützen, und ein Blick auf die überwältigende Masse pro-österreichischer Fahnen und Plakate unterstreichen es. Was nicht weiter bedenklich wäre, würden diese aber nicht das Ganze als Antifaschismus verkaufen wollen. Und - als Konsequenz daraus - den Faschismus instrumentalisieren, um dieses ihr Ziel zu erreichen. Niemand wird leugnen, wie grausam und zerstörerisch die Mussolini-Diktatur in Südtirol gewütet hat. Aber das hat sie auch gegen andere Minderheiten, Gruppierungen und in anderen Gebieten. Und der Faschismus als System ist Geschichte. Wer etwas anderes behauptet, der kennt entweder die Charakteristika faschistischer Staaten nicht oder verfolgt andere Ziele. Wie die Schützen. Es ist nämlich unbestritten, dass Italien kein faschistischer Staat ist, auch wenn der Schützenkommandant Bacher dies immer andeuten will: Zwar haben die Rechtspolitiker in Italien oft einen zweifelhaften Hang zur Zeit Mussolinis und Polizisten in diversen Fällen Recht gebrochen anstatt ebendieses zu schützen. Doch gilt trotzdem die Verfassung, Rechtsstaatlichkeit, internationales sowie Menschenrecht, ist Italien Teil der Europäischen Union. Wenn die Schützen heute ständig einen faschistischen Staat suggerieren wollen, verharmlosen sie die Zeit, indem Italien wirklich unter faschistischer Herrschaft stand. Und missbrauchen das subtile antifaschistische Gefühl der Bevölkerung, um ihre Foderung der Wiedervereinigung zu forcieren: Wohlgemerkt, Südtirol ist schon seit 1919 bei Italien, und Mussolini kam erst 1922 an die Macht. Seine Herrschaft hat sich in Südtirol faltaler ausgewirkt als anderswo, aber ebenso auch weit weniger fatal.
Die zerstörerischen Auswirkungen dieses konstruierten Bildes des italienischen Staates spürt man am deutlichsten im Zusammenleben der Sprachgruppen. Für viele deutschsprachige Südtiroler(innen) gilt immer noch - mehr oder weniger - das schon seit Jahrzehnten gehegte Dogma von "Italiener = Faschist", was beispielsweise in der Diskussion um eine Landeshymne deutlich wurde (und der Frage, ob sie nicht ein Affront an die italienischsprachigen Südtiroler(innen) sein könnte). Die Botschaft der Beiträge vieler Anrufer(innen) im Mittagsmagazin des RAI Sender Bozens lief auf ein "die Italiener werden eine Landeshymne doch aushalten können, bei all dem was sie uns angetan haben" hinaus. Die Faschisten von gestern also als Italiener von heute. Und das Agieren des Schützenbundes unter Verwendung genau dieser alten Vorurteile, die er selbst weiter hegt und pflegt (traditionell im wahrsten Sinne), wirkt einer Verständigung zwischen den Sprachgruppen entgegen.
Wenn die Schützen dann von einer Demonstration gegen Rechtsextremismus sprechen, also gegen Faschismus und Nationalsozialismus, dann tun sie das nur aufgrund der öffentlichen Kritik und weil ihnen sowieso - berechtigterweise - des Öfteren Nähe zu rechtsextremistischen Kräften vorgeworfen wurde, was eine Nicht-Einbeziehung natürlich wieder angefacht hätte. Wohlgemerkt: Die Pressemitteilung "Gegen Faschismus = gegen Nazis" erschien erst acht Tage nach der Veröffentlichung des Demoaufrufes, in welcher der Nationalsozialismus mit keinem Wort erwähnt wird. Und auch in ebendieser Pressemitteilung wird die Ablehnung Hitlers mit der von Mussolini verwoben und auf Südtirol zurückgeführt: "Faschisten und Nazis haben gemeinsam weltweit (und auch in Südtirol) viel Unheil angerichtet. Ihre Freundschaften haben sie immer wieder auch in Südtirol vor dem Faschistendenkmal kundgetan." Die Erwähnung des Nationalsozialismus ist eine Botschaft an die beobachtenden Kritiker, mehr nicht. Aber sie gehört nicht zum Konzept und bleibt marginal.
Eine antifaschistische Demonstration war das mit Sicherheit nicht - wohl aber eine Demonstration mit instrumentalisiertem Antifaschismus. Antifaschisten legen am 8. November Kränze auf Denkmäler während des Novemberpogroms ermordeter Juden und Jüdinnen oder wohnen einer Gedenkveranstaltung bei, aber sie fordern nicht - genau an diesem Tag - ein "freies Tirol". Es ist gefährlich, weil es Vorurteile nährt und die politischen Sachlagen vermischt: Nach dem Motto "Abneigung gegen Faschismus + Heimatliebe = Wiederangliederung an Österreich". Diese Thematiken sind zu trennen. Denn ist die logische Konsequenz aus "gegen Faschismus" nicht  ein "für Menschenrechte", oder ein "für Prävention und politische Bildung als Demokratiebildung"?  Abschließend bleibt festzustellen: Mit Sicherheit wäre bei der Veranstaltung der Schützen ein "gegen Italien - für Österreich" ehrlicher gewesen, auch den Teilnehmer(innen) gegenüber. Und wenn die Schützen weg von einem rechtsextremen Staat wollen: In Österreich erwartet sie eine 30%-Rechte, die stark mit der rechtsextremen Szene verwoben ist. Aber das scheint ihnen nichts auszumachen.
Bildquelle: suedtiroler-freiheit.com

4 commenti:

  1. Stimme vollkommen zu, dass die Idee, welche hinter der Demonstration der Schützen steckte nicht jene des Antifaschismus war. Italien jedoch als höchst demokratischen Staat zu bezeichnen, indem fast jede Form von Faschismus verschwunden ist finde ich übertrieben. Schließlich haben uns die Bilder auf der Piazz Navona eines besseren belehrt.

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  2. Wo wird das behauptet? Es muss - um einer gewissen Wissenschaftlichkeit nicht vollends verlustig zu gehen - sehr wohl unterschieden werden zwischen den faschistischen Elementen und Tendenzen, die es mit aller Kraft zu bekämpfen gilt, einerseits und einer faschistischen Staatlichkeit andererseits. Und zum Glück sind wir von letzterer noch weit entfernt, auch wenn der Wind in diese Richtung weht.

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  3. "Es muss - um einer gewissen Wissenschaftlichkeit nicht vollends verlustig zu gehen - sehr wohl unterschieden werden zwischen den faschistischen Elementen und Tendenzen, die es mit aller Kraft zu bekämpfen gilt, einerseits und einer faschistischen Staatlichkeit andererseits."


    ja, und diese faschistischen Tendenzen gibt es im Schützenbund selbst.

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  4. Der Zeitpunk, ab welchen ein Staat als faschistisch angesehen werden kann ist nicht einfach zu deklarieren. Schließlich ist es ein fließender Übergang und keinesfalls in Sprüngen. Faschistische Tendenzen sind jedoch nicht negierbar.

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