lunedì 21 marzo 2011

Tag gegen Rassismus: Eine Heimat für alle!

Zehn Punkte für eine Wende in der Migrationspolitik

Während sich Horst Seehofer (CSU) "bis zur letzten Patrone" gegen Zuwanderung sträuben will und Pius Leitner (FPS) von einer "schleichenden Islamisierung" Südtirols faselt und beide damit in Europa in bester Gesellschaft sind - Geert Wilders, HC Strache, Victor Orban, Marie Le Pen, Umberto Bossi und wie sie alle heißen - ist es am Internationalen Tag gegen Rassismus an der Zeit, eine Wende in der Migrationspolitik einzuläuten. Am Kampf gegen diese autoritären rechtspopulistischen Tendenzen werden sich die progressiven und emanzipatorischen Kräfte in Europa messen lassen müssen. Die ausgearbeiteten zehn Punkte sind als Diskussionsbeitrag und Ausgangspunkt antirassistischer Gegenpraxen in Südtirol zu verstehen.

1. Begriff "Ausländer" verwerfen. Die Kategorien "Ausländer" und "Einheimische" sind für eine sachliche Auseinandersetzung vollkommen ungeeignet. Im Gegenteil: Es sind ideologisch überhäufte Kampfbegriffe, die der  Identitätskonstruktion dienen ("die Ausländer gegen uns Südtiroler", wobei jene all das sein sollen, was diese nicht sind). Dieses "wir" gegen "sie", in dem zwei homogene Gruppen angenommen werden, leugnet die Vielfalt der Realität und die Differenzen innerhalb der konstruierten Gruppen. Der Begriff „Ausländer“ muss durch jenen der MigrantInnen ersetzt werden, da nur dieser für eine nicht-diskriminierende Sprechweise geeignet ist.

2. Kultur ist nicht statisch. Die gegenwärtig geführte Debatte weist in der Art der Gruppenkonstruktion teilweise bruchlose Kontinuitäten zu rassistischen Diskursen auf, der Kulturbegriff  ersetzt vielfach den diskreditierten Begriff der "Rasse". Daher muss der Kulturbegriff von jenen Vorstellungen befreit werden, die in ihm den Ausdruck eines quasi unveränderlichen und natürlichen  "Volkscharakters" sehen wollen. Kultur ist vielmehr als soziale Lebenspraxis zu verstehen, welche sowohl vielfältig ist als auch ständig in Veränderung. Nur durch die nationalistische Brille erscheint Kultur als ewig und unveränderlich und das "Volk"/die Nation/die Ethnie als homogene Einheit. 

3. Religionskritik statt Islamkritik. Hinter dem Schlagwort der "Islamkritik" verbirgt sich vielfach schlichtweg Rassismus und Ausgrenzungsvorstellungen.  Dies beginnt etwa dabei, wenn ohne jede Differenzierung von "dem Islam" gesprochen wird, der als primitiv, gewalttätig und fundamentalistisch stereotypisiert wird. Ein solches Konstrukt  dient als Projektionsfläche und Feindbild für jene, die am liebsten einen neuen Kreuzzug ausrufen würden. Die unterschiedlichen Strömungen im Islam werden meist nicht unterschieden, ebenso wenig wie gefragt wird, ob die Betroffenen sich überhaupt als solche verstehen - diese kommen so gut wie nie zu Wort. Zweifellos gibt es wie jene jeder Religion, das Christentum eingeschlossen, auch im Islam fundamentalistischen Strömungen. Es bedarf aber einer allgemeinen religionskritischen Sichtweise, einem Beharren auf der Trennung von Religion und Politik sowie einer konkreten Kritik an bestimmten Lebenspraxen im Islam (Beispiel Frauenbild), die auch unter MuslimInnen nicht unumstritten sind. 

4. Migration ist ein Normalzustand. Mit dem Gerede von "Südtirol ist kein Einwanderungsland" soll die Ausgrenzung von Menschen aus anderen Herkunftsländern legitimiert werden. Ein Blick in die Geschichte zeigt jedoch, dass Migrationsströme seit jeher zur Normalität gehören und je nach sozialer Lage die Richtung gewechselt haben. Es ist noch nicht allzu lange her, da sind hunderte Menschen aufgrund der Armut aus Südtirol ausgewandert. Immer schon mussten Menschen  aus diesem Grund oder wegen Krieg und Naturkatastrophen ihren Wohnort verlassen. 

5. Sozioökonomische Dimension der Migration offenlegen. Die Migrationsdebatte hat auch eine stark sozioökonomische Dimension. Dies wird etwa durch die Häufigkeit deutlich, in der Fragen der Verteilung materieller Ressourcen (Sozialbeihilfe ecc.) im Zusammenhang mit Migration thematisiert werden. Diese nicht offen gestellte soziale Frage nach Verteilungsgerechtigkeit äußert sich hauptsächlich als nationale Frage der ethnischen Zugehörigkeit. Und während die Arbeiterin aus Südtirol jene aus Pakistan bezichtigt, eine "Sozialschmarotzerin" zu sein, freut sich die Unternehmerin über die Schwäche der Gewerkschaften. In einem reichen Land wie Südtirol streiten sich die sozial Schwachen um ein paar Knochen. Vielmehr wäre eine gemeinsam formulierte Forderung nach höheren Löhnen und mehr Unterstützung angebracht. 

6. Gegen die Ökonomisierung der Migration. Häufig wird argumentiert, Südtirols Wirtschaft brauche migrantische Arbeitskräfte, um zu funktionieren. Dass der Tourismus, die Landwirtschaft und viele Dienstleistungsbereiche auf diese angewiesen sind, ist richtig. Gegen diese Betrachtung von Migration unter dem ökonomischen Nutzenaspekt gilt es sich jedoch zu verwehren. Die Regulierung der Migration nach den Anforderungen der Wirtschaft lässt die Bedürfnisse der MigrantInnen außen vor und ist de facto eine Form von Ausbeutung: Solange sie für die Kapitalakkumulation nützlich sind, sollen sie bleiben dürfen, danach am besten gleich wieder verschwinden ("Gastarbeiterprinzip"). 

7. Gegen die Festung Europa. Migration muss in der Dimension des Europäischen Einigungsprozesses gesehen werden. Mit dem Schengen-Abkommen und anderen europaweit gültigen Verträgen ist Migration stark von der EU kontrolliert und reguliert. Dass dabei wiederum ökonomische Interessen im Vordergrund stehen, während gleichzeitig die EU-Grenzpolizei im Mittelmeer mit Schusswaffen Jagd auf übersetzende MigrantInnen macht und tagtäglich hunderte AsylwerberInnen ohne Chance auf ein ihnen nach internationalem Flüchtlingsrecht zustehenden Aufnahmeverfahren abgeschoben werden, ist nicht hinzunehmen. Es sind wohlgemerkt "moderate" Regierungsparteien der Mitte, die diese Gesetze verabschieden und exekutieren. 

8. Mitspracherechte ausbauen. Obwohl ständig über Migration gesprochen wird, sind es vor allem etablierte Parteien, Medien und Organisationen, welche die Wortführerschaft haben. Die Betroffenen selbst kommen gar nicht zu Wort – es wird immer über sie gesprochen, nie mit ihnen. Es ist daher unerlässlich, die politischen Mitspracherechte von MigrantInnen auszubauen und ihre Präsenz in der öffentlichen Debatte zu erhöhen. Dies hilft auch, um stereotype Bilder von MigrantInnen zu durchbrechen. Ähnlich wie bei Frauen braucht es auch bei MigrantInnen eine Gleichstellungspolitik, welche die strukturelle Diskriminierung gekämpft und ihnen eine Stimme verleiht. 

9. Für ein Recht auf Asyl und Heimat. Angesichts der gegenwärtigen Politik der Ausgrenzung und Grenzschließung ist es unerlässlich, das Recht auf Asyl und Bleibe als unteilbares Menschenrecht einzufordern. In einer Welt der freien Kapital- und Datenströme darf die Bewegungsfreiheit von Menschen nicht eingeschränkt werden. Abschiebungen, versteckte oder offene bürokratische Hürden bei Einreise und Aufenthalt, jahrelange Gängelung - all das darf es nicht geben. Rassismus und Nationalismus, welche diese Diskriminierungspraxen legitimieren sollen, müssen aufs Schärfste bekämpft werden. Es ist eine Pflicht der reichen Industrieländer, die vielfach mitverschuldete Armut in anderen Ländern zu bekämpfen und deren BewohnerInnen aufzunehmen. 

10. Für eine pluralistische Gesellschaft. "Toleranz" und "Integration" sind die falschen Begriffe für eine emanzipatorische Position, denn sie sprechen aus der Position der Macht heraus: Toleranz bedeutet ein geduldet sein, Integration geht von einer Leitkultur aus, doch wer bestimmt, was diese beinhaltet? Demgegenüber müssen wir ein Recht auf kulturelle Differenz und sprachliche Vielfalt sowie Freiheit in der eigenen Lebenspraxis einfordern. Eine pluralistische Gesellschaft kann es erst dann geben, wenn nationale Besitzansprüche auf Territorium, Ressourcen und Rechte aufgegeben und zu Allgemeingütern werden. Gleichzeitig – und das ist die Herausforderung – darf dieses Recht auf Vielfalt nicht beliebig sein, es muss ein Set von Werten und Normen geben, an die sich alle halten müssen. Über die Form dieser Normen muss aber eine gleichberechtigte Debatte geführt werden.

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