Da ist es wieder, ein personalisiertes Schreckgespenst, welches sich das ressentimentgeladene bürgerliche Subjekt herbeihalluzinieren muss, damit die Widersprüche seiner Ordnung nicht die selbige zerreisen.
Nein, sie sind mir nicht sympathisch, diese neoliberalen „Eliten“ und ich werde mich keineswegs zu ihrem Advokaten erheben, doch sie trifft nur sehr bedingt die Schuld für das, was unter dem Titel „Weltwirtschaftskrise“ firmiert und eigentlich eine ökonomische, soziale und ökologische Polykrise ist. Doch wer den Fehler in der natürlichen Gier, charakterlichen Schwäche oder im hintertückischen Versuch bewusster Ausbeutung verortet, der muss sich die unbequeme Systemfrage nicht stellen. An was es schließlich fehlte, war Regulierung für unsoziale, gewissenlose Finanzjongleure, Kapitalismus als solcher funktioniere ja krisenfrei.
Es wird nun ständig heraufbeschworen, was dieses Fehlverhalten der Managern mit einer Gesellschaft angestellt habe, welche Ungerechtigkeit dadurch entstanden sei, welche Schieflage nun den integren Frieden gefährde, als ob niemals ein Herrschaftsverhältnis in unserer Sozietät existiert hätte.
Über die strukturellen Ursachen, welche derartige Charaktermasken erst hervorbringen, wird geschwiegen. Dass der Mensch nicht gierig geboren wird, sondern einer strukturellen Formung und Selektion unterliegt, wird meist nicht gesehen.
Die Nichtschuld der Manager an der Krise
Die Manager - Kinder der neoliberalen Ideologie – haben den Wagen an die Wand gefahren, so die weitverbreitete Meinung. Dabei wird impliziert, dass es sich beim Neoliberalismus um ein Modell des Machtausbaus und der Bereicherung gewisser Kreise handle, um eine politische Entscheidung moralisch Armer, als ob einfach zwei Optionen zu Wahl gestanden hätten: Weiterhin fordistisch/sozialwirtschaftlich zu Produzieren, oder umsteigen auf einen neoliberalen „Finanzmarktkapitalismus“.
Der Neoliberalismus war wahrlich gewollt, jedoch nicht um den Kapitalismus zu "barbarisieren", sondern um die Kapitalakkumulation weiterhin zu gewährleisten, sprich das System möglichst bruchfrei fortzuführen. Die Art des Wirtschaftens zwischen 1950 und 1970 hätte nicht weiterbestehen können und ist auch nicht in selber Art restituierbar. Die Krise von heute ist die Folge einer tiefgreifenden, strukturellen Krise des Fordismus der 1970er.
Diese vielgelobte Nachkriegsperiode wirtschaftlicher Prosperität war Resultat diverser Momente. Vor allem baute sie auf Kapitalexpansion (sprich Wachstum) nach innen hin auf. Es wurden noch nicht erschlossene Teile gesellschaftlichen Lebens für die Kapitalakkumulation geöffnet. Das Private wurde gänzlich der Warenform unterworfen: Nahrungsmittel wurden von nun an nur noch in Supermärkten gekauft, durch eine unglaubliche Produktivkraftsteigerung wurde Technik erschwinglich, Haushalte wurden so elektronisch aufgerüstet, die Unterhaltungsindustrie entstand und der Autoboom nahm Gestalt an. Um 1970 war diese Urbarmachung abgeschlossen, die Märkte waren gesättigt, zahlungsfähige Nachfrage erschöpft, die Kapitalexpansion nach innen konnte nicht fortgeführt werden. Das angehäufte Kapital fand keine Investitionsmöglichkeiten mehr, um eine Entwertung des Wertes zu verhindern, wurden die bis dato stark protegierten, nationalen Märkte geöffnet, um dort überschüssige Kapitalien gewinnbringend anlegen zu können. Zudem wurde aus diesem Grund vermehrt in die Finanzmärkte investiert. Der Neoliberalismus hat diese Möglichkeiten eröffnet und somit das drohende Krisenmoment der 1970er „überwunden“, um es lediglich zu verzögern. Die Krise kam so in Form einer „Finanzkrise“ einige Jahrzehnte später zurück und entfaltete dabei eine potenzierte Destruktivkraft. Es handelt sich bei der aktuellen Situation folglich um eine strukturelle Problematik, nicht um das Fehlverhalten einer Berufsgruppe.
Ressentiment als Aufhebung der immanenten Widersprüchlichkeit
Dennoch imaginiert das bürgerliche Subjekt Schuldige, Personen welche die alleinige Verantwortung für all dies tragen. Da es seiner Sozialisation und der Verfasstheit seiner Gesellschaft und den darin ständig aufs neue reproduzierten Sachzwängen durch sein alltägliches Bewusstsein nicht entfliehen kann, verfangen ist im Fetisch der Warenform und des Geldes, des Unendlichwachstums und der Lohnarbeit, vermag es die Widersprüchlichkeit, welche diese Formen hervorbringen und die Krisen, welche sie produzieren, nicht zu verstehen.
Darin offenbart sich der Grund für die Personalisierung des Unheils, für die Heraufbeschwörung der Ackermanns. Es scheint dem postmodernen Menschen ein Bedürfnis, Erklärung zu finden, er durchschaut dabei aber nicht die systemimmanente Logik. So projiziert er all das Destruktive, welches der Dialektik kapitalistischer Vergesellschaftung entspringt, auf den Sündenbock.
Sich nicht mit den strukturellen Bedingungen auseinanderzusetzen, heißt sie nicht hinterfragen zu müssen. Die gewohnte Ordnung bleibt intakt durch die Stigmatisierung eines gesellschaftlichen Teils, eines „Bauernopfers“, welchem vorgeworfen wird, die Sozietät fast geopfert zu haben. Die Reform genügt so zur Korrektur, die Struktur bleibt „intakt“.
Quelle: http://julianzoeschg.twoday.net/