Kommentar | Replik auf Brigitte Foppa: Mein Waffeleisen, ff 14 - 7.4.2011 über Atomkraft, die ökologische Krise und halbherzige Lösungsvorschläge
Es ist ja so einfach: Wer Frau Foppa bei der Führung durch ihr Wohnheim gefolgt ist, von der Speisekammer über Wohn- und Kinderzimmer bis in die Küche, weiß nun, wie die Welt zu retten ist. Man muss, so die Conclusio, "bei sich selber anfangen". Ich stelle mir gerade vor, wie dutzende Leserinnen und Leser nach diesem beherzten Aufruf aufspringen und voll heroischem Tatendrang angesichts der ökologischen Apokalypse durch ihre Eigenheime der Klimaklasse A streifen, auf der Jagd nach der "Stromüberflussabhängigkeit", die in jeder Ecke versteckt sein könnte. Und, nach Eliminierung dutzender Stand-By-Geräte, erschöpft aber zufrieden das politische Gewissen für die nächsten Monate gestillt wissen. Es ist diese Art von Politik, die die Grünen in Deutschland so populär macht: Sie geben den Menschen das Gefühl, im Kleinen etwas bewirken zu können, ohne das Große anzutasten. Ein Gemüsegarten hier, zwei Energiesparlampen dort. Dass dies angesichts der Ausmaße der ökologischen Krise nicht mehr als eine Beschäftigungstherapie ist und vielleicht auch Selbsttäuschung, muss ins Auge springen.
Dabei bleibt eigentlich keine Zeit mehr für solche Spielereien. Das Global Humanitarian Forum, dessen Präsident der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan ist, hat schon vor zwei Jahren einen Report zum Klimawandel publiziert, der mit "Anatomie einer stillen Krise" betitelt ist: Bereits heute sterben etwa 300.000 Menschen jährlich an den Folgen des Klimawandels, 325 Millionen Menschen sind davon jetzt schon ernsthaft betroffen, die in Geld berechneten Verluste belaufen sich auf jährlich 125 Milliarden Dollar. Die ökologische Krise schlägt in aller Brutalität schon durch, während wir uns über die warmen Sommertage freuen.
Angesichts einer sich zuspitzenden Situation, in der schmelzende Gletscher, steigende Meere und sich ausbreitende Wüsten Millionen Menschen in die Migration treiben werden, wird die Forderung nach einem "Green New Deal" für viele zum Hoffnungsanker: Investitionen in erneuerbare Energien und die Umstellung von Schlüsselproduktionen sollen's richten. Die grundsätzliche Diskrepanz zwischen einem auf ewiges Wachstum ausgerichteten Wirtschaftssystem und einer begrenzten Welt mit endlichen Ressourcen bleibt hingegen offen. Dass durch die Wirtschaftskrise der C02-Ausstoß in Deutschland um fast 10% zurückgegangen ist, zeigt, wo der Schuh drückt.
Das gegenwärtige auf ständiges Wachstum eingeschworene Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell hat keine Zukunft; es wird ermöglicht durch die ungeheure Ausbeute der billigen Energieträger Erdöl und Erdgas (mit all den Folgen für Klima und Umwelt) ebenso wie der risikoreichen und gefährlichen Kernenergie (mit dem Problem des Atommülls können sich dann unsere Enkel plagen). Hinzu kommt die massenhafte Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft in den Schwellenländern: Geringe Löhne, nicht vorhandene Arbeitsrechte und Umweltauflagen machen die Produkte zwar billig und die Unternehmen reich, die sozialen und ökologischen Kosten hat jedoch die dortige Bevölkerung zu tragen. Als Vorbild für die aufstrebenden zwei Milliarden Chinesen und Inder taugt das Gesellschaftsmodell der industrialisierten Länder und ihres gewaltigen "ökologischen Fußabdrucks" aber wenig; binnen kürzester Zeit wäre der letzte Tropfen Erdöl verbrannt.
Wenn wir heute angesichts Fukushima über die globale Energiepolitik ins Grübeln kommen, können wir die Augen vor der ganzen Dimension der Energie- und Ökokrise nicht verschließen. Mit einem entsorgten Waffeleisen und einem "Green New Deal" wird das Problem nicht gelöst. Wir müssen bereit sein, das zentrale Mantra von Leistung, Wachstum und Effizienz zu hinterfragen und Alternativen zum gegenwärtigen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem zu diskutieren. Es ist die Frage nach ökologischer Gerechtigkeit, die wir beantworten müssen, weil sie uns den Weg in die Zukunft verstellt.
domenica 24 aprile 2011
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