Im Streit um die Jubiläumsfeierlichkeiten geht es um die politische Auseinandersetzung zwischen einem chauvinistischen Regionalismus und einem im wörtlichen Sinne reaktionären Patriotismus. Zu Beginn der neunziger Jahre begann in Italien der Aufstieg einer neuen Rechten. Nicht nur die Lega Nord attackierte mit ihren separatistischen Forderungen die Einheit des Landes, auch die Postfaschisten rüttelten an den Grundfesten der italienischen Republik, indem sie die aus dem antifaschistischen Grundkonsens hervorgegangene Verfassung diffamierten und deren »Reform« anstrebten. Als Reaktion auf diese Entwicklung versuchte der damalige liberale Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi, der selbst noch aktiv in der resistenza an der Befreiung seines Landes vom Nazifaschismus beteiligt gewesen war, den Angriff auf die staatliche Verfasstheit durch eine Aufwertung nationaler Symbole abzuwehren. Die italienische Fahne und die Nationalhymne, die bis dahin nicht einmal anlässlich von Fußballweltmeisterschaften eine besondere Rolle gespielt hatten, sollten Italien zusammenhalten. Der antifaschistische Widerstand funktionierte nicht länger als Staatsgründungsmythos, und so rückte der risorgimento, die nationale Einheitsbewegung, in den Mittelpunkt der Vergangenheitspolitik.
Dass längst nicht mehr nur liberale Kräfte, sondern auch weite Teile der Linken die Verteidigung der staatlichen Verfassung mit einem nationalistischen Populismus verbinden, zeigte sich zuletzt am Wochenende, als Zehntausende in mehreren Städten des Landes unter dem Banner der Nationalflagge gegen die von der Rechtskoalition angekündigte Verfassungsreform demonstrierten. Wie im Falle der revisionistischen Umschreibung des Mythos der resistenza hat auch der Bezug auf das risorgimento eine nationalkonservative Stoßrichtung. Die emanzipativ-fortschrittlichen Komponenten der politisch und sozial sehr heterogenen Einheitsbewegung haben in der staatstragenden Erinnerungspolitik keinen Platz. Umgekehrt findet sogar die Lega Nord einen Ahnen des risorgimento, den sie für aktuelle politische Ziele herbeizitieren kann. Der Mailänder Carlo Cattaneo habe sich schon damals gegen den königlichen Zentralstaat und für ein föderales Italien nach schweizerischem oder amerikanischem Vorbild ausgesprochen. In der von der Lega angestrebten Föderalismusreform geht es freilich weniger um eine Dezentralisierung als vielmehr um die Aufhebung des Lastenausgleichs zwischen den nördlichen und südlichen Regionen und damit de facto um die soziale Spaltung des Nationalstaats.
giovedì 17 marzo 2011
Es lebe Italien (so lange es noch steht)...
Über die italienische Einheit, die Abwesenheit von Lega Nord und SVP und den neuen linken Verfassungspatriotismus; Auszug aus "Nichts zu feiern" von Catrin Dilinger. Im Volltext nachzulesen auf www.jungle-world.com
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