Brandstifter im Schafspelz (ff - Südtiroler Wochenmagazin)
Der Aufmarsch der Neofaschisten am vergangenen Samstag ist zwar ohne weitere Folgen zu Ende gegangen. Grund zur Besorgnis ist er trotzdem – oder gerade deswegen.
Es herrscht die totale Ordnung. Zwei Stunden lang gehen und stehen die vielen Jugendlichen und wenigen Erwachsenen in Reih und Glied, in ihren Jacken und Taschen steckt eine rote Rose. Ohne Unterlass schwenken sie Fahnen und warten auf neue Anweisungen von den Ordnungsdienern mit roter Weste. Einfache Handbewegungen reichen zur Verständigung aus. In den perfekt quadratischen Blöcken, die die Teilnehmer des grotesken Schauspiels zwischen Siegesplatz und Hadrianplatz formen, herrscht Stille. Einzig der Kleinlastwagen am Beginn des Zuges spielt Musik, aus dem Lautsprecher kommen epische Melodien, dramatische Klänge zumeist – zu feiern, so die eindeutige Botschaft, gibt es hier nichts.Mit dem gängigen Szenario von Protestkundgebungen hatte die Inszenierung der Bozner Demonstration von CasaPound, der als Kultur- und Sozialverein getarnten neofaschistischen Organisation (ff berichtete im August 2010) am vergangenen Samstag nichts gemein: Es gab weder Spuren von jugendlicher Rebellion, noch Menschengewühl oder Chaos, ja nicht einmal Schlachtgesänge waren zu hören.
Einzig zum Abschluss der Veranstaltung, als am Siegesplatz ranghohe Exponenten der rechtsextremen Gruppierung sowie Unitalia-Vertreter Donato Seppi vom Transporter herab ihre glühenden Reden schwangen, brandete lauter Beifall in den Rauchschwaden der bengalischen Feuer auf.
Der Aufmarsch zeugt von einer unterschätzten Gefahr. Die Bedrohung aber geht nicht etwa von den aus Süden angereisten militanten Anhängern von CasaPound aus. Dieser Trauerzug durch die Bozner Innenstadt zeigt vielmehr, wie fruchtbar der Boden für das neofaschistische Gedankengut in Südtirol geworden ist.
Von 4.000 Teilnehmern sprachen die Organisatoren am Tag darauf; tatsächlich dürften es rund 1.500 Demonstranten gewesen sein, die dem Aufruf zur rechten Kundgebung gefolgt sind. Parallel dazu hatten die Antifa Meran, die Partisanen-Organisation Anpi und die „Studenti Consapevoli“ zu einer antifaschistischen Gegenkundgebung aufgerufen. Allerdings konnten die Organisatoren nicht mehr als 400 Teilnehmer mobilisieren.
Am Siegesplatz wiederum präsentierten sich die Anhänger der rechtsextremen Vereinigung und ihres studentischen Ablegers, dem „Blocco studentesco“, erhobenen Hauptes – und eben nicht als gewalttätige Unruhestifter, sondern als ordentliche, rechtschaffene Bürger, die in friedlicher Manier der Sorge um den Erhalt ihrer Identität Ausdruck verleihen wollen: eine Inszenierung, die zeigt, wie gut die Hierarchie der Organisation funktioniert, die in der Regel nicht für pazifistischen Protest, sondern für den Aufruf zu und massiven Einsatz von Gewalt bekannt ist.
„Nessun compromesso vale l’identità di un popolo“: Unter diesem Motto hat CasaPound Anhänger aus allen italienischen Regionen von Aosta bis Sizilien mobilisieren können, um in Bozen auf die Straße zu gehen. Der Protest richtet sich, das ist bekannt, zum einen gegen die Weigerung von Landeshauptmann Luis Durnwalder, an den Feiern zur italienischen Einheit teilzunehmen. Man kann dem Landeshauptmann zwar nicht vorwerfen, die italienische extreme Rechte in Südtirol gezielt stärken zu wollen, am Samstag hat sich aber erneut gezeigt: Mit seiner barschen Ankündigung hat er eben dies bewirkt. Die Italiener, so der Tenor nicht nur rund um den Protestzug, verstehen die Ablehnung Italiens schließlich auch als Ablehnung ihrer selbst. Durnwalders Aussage nicht genug, bot die SVP der rechtsextremen Organisation gleich noch ein zweites Motiv, um Bozen endgültig zur Kampfzone zu erklären: den Pakt zwischen Kulturminister Bondi und den Parlamentariern Brugger und Zeller und die damit über die Köpfe der Italiener hinweg gekaufte Ermächtigung zur Umgestaltung der Denkmäler. Für CasaPound, die sich den Kampf gegen Korruption und politische Kuhhandel groß auf ihre Fahne geschrieben hat, war der Deal ein gefundenes Fressen.
Den Aufmarsch bezeichnet Gianluca Iannone, Präsident der mittlerweile italienweit verwurzelten Gruppe, als „eine Antwort des Volkes an diejenigen, die mit einer Unterschrift die italienische Identität des Alto Adige und die heroische Geschichte derjenigen, die es erbaut haben, auslöschen wollen.“
Iannone und Andrea Bonazza, der regionale Koordinator von CasaPound, gehören wie die meisten der offiziellen Mitglieder von CasaPound eindeutig zum äußersten rechtsextremen Rand des gesamten politischen Spektrums; selbst bezeichnet man sich gern als „Faschisten des dritten Jahrtausends“.
Die vielen kahlgeschorenen Köpfe, schwarzen Bomberjacken und Springerstiefel auf der Kundgebung am Samstag überraschen daher nicht. Einer der Ordnungskräfte von CasaPound trägt neben Glatze, Bomberjacke und Trikolore als Armbinde auch eine Tätowierung auf jedem seiner Augenlider: H. H wie Heil, H wie Hitler. Rund 700 der Teilnehmer sind laut Angaben von CasaPound-Koordinator Bonazza aus ganz Italien angereist; der Verein hat dafür wie üblich Busse und Zugfahrten organisiert. Dieser harte Kern der Organisation bildete am Samstag auch das Gros jener Teilnehmer am Marsch durch Bozen, die die rechtsextreme Symbolik mit Stolz an ihrem Körper tragen.Wer aber meint, hierzulande bestehe das Problem lediglich in einigen wenigen glatzköpfigen Außenseitern, der irrt.
„Wir sind nicht so viele Militante, wie man denkt, aber wir sind sehr, sehr viele, die gleich denken“, sagte der Südtiroler CasaPound-Chef Andrea Bonazza bereits im vergangenen Sommer gegenüber ff. Diese vielen, die gleich denken, dürften in den vergangenen Monaten nicht nur laut Einschätzung der Organisation selbst noch mehr geworden sein.
Immerhin über die Hälfte der Teilnehmer waren Südtiroler: über 700 junge Sympathisanten und Mitglieder einer rechtsextremen Organisation, die an einem sonnigen Samstagnachmittag in der Bozner Innenstadt mit erhobenen Fahnen und verschlossenen Mündern verharren. Der Unmut steigt offensichtlich gerade unter den jungen Italienern im Land. Gab es bislang nur diesen vagen „disagio“, den Medien und Politik zwar irgendwo orteten, aber nie genauer zu definieren vermochten, so scheint das kollektive Unbehagen mit den jüngsten politischen Manövern in eine gemeinsame Richtung gedrängt worden zu sein. „Gegen eure Arroganz, für das Zusammenleben“ lautet die gezielt auf Deutsch gehaltene Parole auf dem ersten Banner, das den gesamten Zug anführt. Getragen wird es von fünf Mädchen, die mit ihrem rosa Lippenstift, glitzerndem Nagellack und Turnschuhen genauso aussehen, wie man es es von ganz normalen Oberschülerinnen kennt. Ähnliches gilt für einen bedeutenden Teil der Teilnehmer am schwarz-braunen Trauermarsch durch Bozen.
Die neofaschistische Szene hat ihr Gesicht verändert, der Extremismus selbst pflegt nur nach außen hin das Bild einer sozialen Institution. CasaPound hat es in wenigen Jahren geschafft, in den italienischsprachigen Oberschulen Südtirols zu einem immer gegenwärtigeren Bezugspunkt zu werden. Damit sind eben auch jugendliche Sympathisanten der Neofaschisten kaum mehr von ihren Alters- und Schulgenossen unterscheidbar, die an einer antifaschistischen Kundgebung teilnehmen.
Nach gut zwei Stunden ist der Aufmarsch der rechten Front am 5. März zwar ohne Schäden zu Ende gegangen. Grund zur Besorgnis ist er trotzdem – oder gerade deswegen.
Judith Innerhofer
Aus ff 10 vom 09. März 2011
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