„Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen.“
Dieses geflügelte
Wort, welches dem Apostel Paulus zugeschrieben wird (2 Thess. 3,10), erhält
seine Bedeutung im Kontext eines mächtigen Diskurses, welcher sowohl die
Vorstellungen der Sozialdemokratie, als auch des Stalinismus und
Nationalsozialismus prägte. Richtete sich dieses Zitat bei der etatistischen
und autoritären Linken gegen die „parasitären“ Klassen wie Großgrundbesitzer
und Kapitalisten, welche den Mehrwert der ArbeiterInnenklasse abpressen würden,
ohne dafür auch nur einen Finger zu rühren, so wurde es im Nationalsozialismus zur
sozialdarwinistischen Programmatik.
Heute noch stellt
diese Überzeugung, dass wer nicht arbeitet, auch nicht essen soll, einen
Grundpfeiler unserer Arbeitsgesellschaft dar. Sowohl die sozialdemokratische
Linke, als auch konservative Kreise stimmen darin überein und wissen sich
hierbei von einem breiten, gesellschaftlichen Konsens legitimiert. Schließlich
müsse es doch um Leistungsgerechtigkeit gehen, darum, dass den Faulen verwehrt
bleibt, was die Fleißigen erarbeiten. Das dem jedoch ein sehr einseitiger
Arbeitsbegriff zugrunde liegt, welcher systematisch gesellschaftlich wertvolle
Tätigkeiten und soziale Gruppen wie Arbeitslose und Frauen diskriminiert, sowie
einen zentralen Pfeiler der herrschenden Ideologie darstellt, soll im Folgenden
erörtert werden.
Arbeitsgesellschaft ohne Arbeit
„Wir erleben das
Paradox einer Arbeitsgesellschaft ohne Arbeit. [...] Die Produktivitätssteigerung,
die Verlagerung, Mechanisierung, Automatisierung, Digitalisierung der
Produktion sind dermaßen fortgeschritten, dass sie die für die Herstellung
jeder Ware notwendige Menge an lebendiger Arbeit auf fast nichts reduziert
haben.“[1]
Diese Gedanken entspringen der Feder von situationistischen AnarchistInnen aus
Frankreich, deren Manifest 2011 selbst in den konservativste Feuilletons
streckenweise wohlwollend rezipiert wurde. Nach Jahrzehnten von
Arbeitsschaffungsmaßnahmen, Wirtschaftswachstum, Arbeitslosenumschulungen und
all den anderen Strategien, welchen sich Berufspolitik und Bürokratie
verschrieben haben, scheint die Analyse zuzutreffen: Die ersehnte
Vollbeschäftigung wurde nie erreicht, und dies hat gute Gründe.
Nicht nur die oben
beschriebene Automatisierung vernichtet im Kapitalismus systematisch
Arbeitsplätze, sofern das Ersetzen von lebendiger Arbeit durch Maschinen
Wettbewerbsvorteile bringt. Seit den 1970er Jahren greifen hier noch ganz
andere Mechanismen, welche den Kapitalismus grundlegend transformiert haben und
Vollbeschäftigung in Europa immer unwahrscheinlicher werden lassen. Die
Globalisierung – hier verstanden als ein Prozess der ökonomischen und
politischen Eliten, welcher zu einer verstärkten und zugleich einseitigen
Integration der nationalen Binnenmärkte in den Weltmarkt führte – hat mit der
Stärkung des Freihandels und der Liberalisierung der Finanzmärkte eine globale
Arbeitsteilung verschärft, in welcher zunehmend arbeitsintensive Prozesse in
die lohntechnisch günstigere Peripherie
und Semi-Peripherie (z.B. China, Indien, Brasilien) des Kapitalismus
verlagert wurden. Dies führte zu einer beträchtlichen Vernichtung von
Arbeitsplätzen für „Geringqualifizierte“ in den kapitalistischen Metropolen
(EU, USA, Japan). Innerhalb der kapitalistischen Metropolen kam es zu einem
neuen Arbeitsregime, welches auf die Präkarisierung und Flexibilisierung der
Arbeitskräfte abzielt. Die hohe Arbeitslosigkeit sowie die Verschlechterung der
bestehenden Arbeitsverhältnisse generiert den Zwang, welcher nötig ist, damit
sich die Lohnabhängigen dem neuen Regime unterwerfen, dessen vorrangige Sorge
die Wettbewerbsfähigkeit ist.
Gepaart sind diese
Zwangselemente der Präkarisierung und der Bedrohung durch den sozialen Abstieg
mit dem protestantisch-kapitalistischen Arbeitsethos, welches uns beständig von
Seiten der Politik, Bürokratie und Wirtschaft gepredigt wird. Die Gesellschaft
benötige (Lohn-)Arbeit um sich reproduzieren zu können, das Individuum benötige
(Lohn-)Arbeit um aktiv, schöpferisch und glücklich sein zu können, die (Lohn-)Arbeit
ist eines der höchsten Güter, wer sich der (Lohn-)Arbeit verweigert, macht sich
eines Verbrechens an der Gesellschaft schuldig, wer nicht (lohn-)arbeitet, soll
nicht essen. Ständig hören wir das Mantra, dass es Wirtschaftswachstum brauche
um Arbeitsplätze zu schaffen. Vollbeschäftigung ist das höchste und nobelste
Ziel, dass uns die Berufspolitik anzubieten hat. In vergangen Jahrhunderten
wurde so wenig Arbeit wie nötig noch als Segen angesehen. Im Namen der Mission
Arbeitsplätze, welcher sich alle Parteien überall verschrieben haben, werden
Steuererhöhungen, Steuersenkungen, Kapitalstromliberalisierung,
Kapitalstromregulierung, Bürokratieabbau, Aufbau von Arbeitsämtern, werden
Bankenrettungen und Konjunkturpakete in Angriff genommen.
Hohelied von der Arbeit?
Sprache kann
verräterisch sein. Auf die Frage nach dem Beruf, antworten viele im
deutschsprachigen Raum „ich bin Tischler“, oder „ich bin Arzt“ usw... Darin
drückt sich die Identifikation des eigenen Selbst mit der Profession
unvermittelt aus, in der Arbeitsgesellschaft sind wir unsere Lohnarbeit. Sogar
in der gegenwärtigen Arbeitswelt führt die zunehmende Prekarisierung nicht zu
einer zunehmenden Relativierung der Lohnarbeit und Aufwertung anderer
Tätigkeiten. Der prekäre Job stellt einen Übergang dar, er ist Vorbereitung
oder Überbrückung, Provisorium oder Lückenfüller in der Erwartung auf etwas
Besseres, auf das Erfüllende, was da noch kommen soll. Schließlich brauchen wir
so was, eine erfüllende Arbeit, für sie müssen wir ja letztlich den Großteil
unserer Lebenszeit opfern.
Produktive
Mitglieder einer Gesellschaft, das sind lohnarbeitende Mitglieder. Lohnarbeit
und Produktivität sind einander ein Synonym. Produktiv ist jene Arbeit, die ein
Unternehmen oder Staat kauft, die benötigt wird zur Verwaltung der Bürokratie,
oder der Herstellung von Waren, oder dem Trainieren des Tötens für die Politik
mit anderen Mitteln. Hausarbeit, die Grundlage für die Reproduktion unserer
Gesellschaft, familiäre Pflege, Volontariat, Vereinsarbeit, betreuen und
spielen mit Kindern, weite bereiche der Kultur- Kunstarbeit, politische Arbeit
außerhalb staatlicher Institutionen, Bildungsarbeit außerhalb von Schulen und
Universitäten, die Liste der nichtentlohnten, ökonomisch „unproduktiven“ und
dennoch zutiefst sinnvollen Tätigkeiten ließe sich beliebig fortsetzen. In
vielen dieser Bereiche engagieren sich vorwiegend Frauen, aber auch
Arbeitslose, Migranten ohne Arbeitsrecht, sowie Menschen, die sich noch in
Ausbildung befinden. Sie alle leisten wertvolle „Gratis-Arbeit“, ohne die sich
der Kapitalismus nicht reproduzieren könnte. Dennoch werden sie von unserer
Arbeitsgesellschaft systematisch diskriminiert, am klarsten ersichtlich an den
Arbeitslosen, die grundlegende BürgerInnenrechte, wie etwa ihre
Bewegungsfreiheit oder den Schutz ihrer Privatsphäre weitestgehend verlieren.
Die Bürgerrechte, von denen die VerfechterInnen des liberalen Kapitalismus
schwärmen, sind in vielerlei Hinsicht Erwerbstätigenrechte. Wer nicht arbeitet,
soll demnach gerade mal zu essen haben, er/sie soll auch nicht frei sein und
reisen und er/sie soll schon gar nichts vor dem Staat verbergen dürfen, er/sie
soll dem Leviathan und seiner Disziplinierung zur Arbeit ausgeliefert sein,
er/sie soll alles dankbar Annehmen, selbst wenn er/sie gezwungen ist, für einen
Euro die Stunde Straßen zu kehren, denn jede Arbeit sei schließlich besser als
gar keine Arbeit.
Unsere Gesellschaft
singt das Hohelied von der (Lohn-)Arbeit. Heute beseitigt sie selbst jenen
feinen Unterschied, der ihr einst ihr menschliches Antlitz so mühsam bewahrt
hat, sie hasst nicht mehr nur die Arbeitslosigkeit, sie hasst immer mehr die
Arbeitslosen. Die Pfaffenmoral des Arbeitsethos wird umso unerbittlicher, je
mehr die Lohnarbeit selbst verschwindet.
Kontrolle, Zwang und Herrschaft im Namen der Arbeit
Der Kapitalismus
könnte sich nicht nur nicht reproduzieren, gäbe es all die unbezahlten
Tätigkeiten, welche außerhalb der Lohnarbeit stattfinden, nicht. In zunehmendem
Maße subsumiert er unser gesamtes Leben unter die Kapitalakkumulation, die
innovativsten Kapitalien erzielen Gewinne mit und durch uns und dessen, was uns
allen im selben Maße gegeben sein sollte, unsere Umwelt und die Natur. Ganze
Gencodes werden patentiert, Saatgut wird zu Firmeneigentum, Wasser wird
privatisiert, Gemeindeland in der Peripherie des globalen Weltsystems
eingehegt, über die Social Media werden unsere sozialen Beziehungen und die
Daten, welche sich daraus ergeben, verkauft, das Wissen, welches Menschen
gemeinsam, kooperativ und in einem akkumulativen Prozess produzieren, wird in
die Warenform gepresst. Profit durch Enteignung, Profit durch Aneignung dessen,
was wir durch unsere Kreativität
schaffen.
Lohnarbeit ist
Ausbeutung. Von dem Wert, den wir produzieren, erhalten wir als Arbeitskräfte
lediglich einen Bruchteil in Form der „Entlohnung“ unserer Arbeitsstunden. Nun
enteignet uns das Kapital auch noch unsere letzen, gemeinschaftlichen
Ressourcen, es zerstört unsere ökologische Lebensgrundlagen und kommodifiziert unser Menschsein. Der Lohn
dafür ist der Verlust unserer Würde. Die, die in der arbeitslosen
Arbeitsgesellschaft ohne Arbeit dastehen, sind ihr auf Gedeih und Verderb
ausgeliefert. Der Staat nimmt seine Aufgabe ernst, er „befähigt“ die
BürgerInnen durch seine Biopolitik zur Arbeit, und wenn es schon keine Arbeit
gibt, so wird wenigstens aktiviert, geschult und kontrolliert. Die Reservearmee
an Arbeitslosen soll sich schließlich nicht in Muße üben, soll nicht das Leben
außerhalb der Lohnarbeit kennen lernen, soll nicht auf dumme Gedanken kommen.
Sie soll trainieren, soll am Morgen aufstehen, auch wenn es dafür keinen Grund
gibt. Der Staat wird schon einen finden, wie wär’s mit einem AMS-Kurs, zum
erlernen von Microsoft Word? Die Menschen sollen Arbeiten, sie sollen für einen
Euro die Stunde das Laub im Park fegen, das ansonsten die Käfer fressen. Jede
Arbeit sei schließlich besser als gar keine Arbeit, es müsse schließlich gegen
die Gefahr der Lethargie angegangen werden. Denn im Kapitalismus ist nicht
sinnvoll was Freude macht oder notwendig ist, sondern was Gewinn verspricht. Deshalb sollen sie ruhig acht Stunden für acht
Euro am Tag arbeiten, diese Arbeitslosen. Der Rest, welcher ihnen zum
anerkannten Existenzminimum fehlt, wird ihnen schließlich vom gütigen Staat
aufgestockt. Sie sollen satt werden, damit sie Leben können, erleben sollen sie
nichts. Sie sollen buckeln und die Würdelosigkeit und Demütigung ertragen, die
sie auf dem Arbeitsamt erwartet, wenn sie alles offen legen müssen, wenn der
Staat sich für ihre Liebschaften interessiert, wo er wissen will, ob sie in
einer „eheähnlichen“ Gemeinschaft leben, wo er wissen will, wo sie sich
befinden, immer, beständig, kontrollierend. Die Arbeitslosen werden vom Staat
zu Don Quijoten gemacht, sie sollen an einer vergangenen Zeit festhalten und
hoffen, dass sie wiederkommt, die Ära der Vollbeschäftigung. Ihre Windmühlen
sind die Weiter- Fort- Um- und Verbildungen in die sie genötigt werden.
Das Bedingungslose Grundeinkommen: Ein Stück Würde!
Das BGE entreißt
dem Kapital und Staat ein Stück seiner Macht und gibt uns ein Stück unserer
Würde zurück. Es schränkt den Zugriff der Herrschaft etwas ein, denn es
relativiert die Lohnarbeit. Mit ihm müssen wir nicht jeden Drecksjob mit
knechtischer Dankbarkeit annehmen, wir müssen nicht ins Arbeitsamt uns
schikanieren lassen, wir müssen uns nicht rechtfertigen, wenn wir länger
studieren um unser Denken zu bereichern, wir müssen dann so vieles nicht und
dürfen und können umso vieles mehr.
Wie bereits
beschrieben, baut das aktuelle, kapitalistische Regime auf die Prekarisierung
auf, es baut auf unsere Verunsicherung. Die ökonomisch und politisch
Herrschenden organisieren den Zugriff, sie MACHEN uns prekär. Sie wissen was
ein BGE für sie bedeuten kann. Wo sie es nicht wissen, oder zumindest nicht an
seine emanzipatorische Wirkung glauben wollen, zementiert ihr
donquijotenhaftes Denken ihre
Opposition. Sie glauben dann trotz endlicher Ressourcen weiterhin an ihr
Wachstum, trotz Automation, Produktivkraftentwicklung und dem Ende der
industriellen Hegemonie an Vollbeschäftigung. Sie hoffen, dass der Tote als
Zombie aus seinem Grab steigt. An ihren ökonomischen Dogmen festhaltend
zerstören sie unsere Chancen auf ein gutes Leben für alle.
Das BGE kann nicht
das Resultat von Gnade sein, ist nicht das Soziale an der Marktwirtschaft, will
nicht erbittet werden, ist keine Mildtätigkeit für „die Wenigen, die durch das
System fallen“. Es ist eine Forderung und Kampfansage gegen die
Entmenschlichung, gegen die Starrhalsigkeit des Don Quijote, der an der alten
Zeit festhält. Es ist eine Forderung für eine neue Zeit, für unsere Würde. Als
Forderung soll es die soziale Auseinandersetzung um unsere Emanzipation von
Herrschaft und Barbarei beleben. Wir wollen es, weil es unser Recht ist. Das
BGE kann eine Perspektive in Richtung eines Stücks guten Lebens im Hier und
Jetzt eröffnen. Die Aussicht auf ein gutes Leben können uns unsere Berufspolitiker
und Wirtschaftskapitäne nicht geben, wir müssen sie selbst freilegen, wir
müssen selbstbewusst und selbstmächtig unsere Würde einklagen und das BGE kann
uns dabei helfen.
http://wiki.piratenpartei.de/Benutzer:Seahorse/BGE#BGE_als_Trojanisches_Pferd
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