mercoledì 21 dicembre 2011

BGE: Forderung für ein Stück vom guten Leben im Hier und Jetzt | Kommentar

Im Zuge des OSTWEST/Zigori-Clubabends wurde in Meran (am 15.12.11) einer kleinen, interessierten Öffentlichkeit vom Referenten Sepp Kusstatscher das Konzept des Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE)  vorgestellt. Dies möchte ich zum Anlass nehmen, um die Thematik aufzugreifen und einige sozial-philosophische Überlegungen anzustellen, die am gestrigen Abend meines Erachtens etwas zu kurz gekommen sind. Wie so oft bei Diskussionen um das BGE, kreiste die Debatte um technische Fragen der Realisierbarkeit, was durchaus verständlich ist, handelt es sich beim BGE doch um ein sozialpolitisches Reformmodell, welches eine weitreichende Transformation wohlfahrtsstaatlicher Strukturen impliziert. Das BGE stellt darüber hinaus aber noch mehr dar. Es ist nicht einfach eine weiter technokratische Reformbemühung zur Regulierung der Gesellschaft. Es erfordert einen Paradigmenwechsel in unseren Vorstellungen und unseren Sinnhorizonten. Das BGE irritiert unseren senso comune (Gramsci), es attackiert unseren Alltagsverstand.

„Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen.“

„Der Sozialismus stimmt mit der Bibel darin überein, wenn diese sagt: Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“. (August Bebel, Begründer der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung in Deutschland)

Dieses geflügelte Wort, welches dem Apostel Paulus zugeschrieben wird (2 Thess. 3,10), erhält seine Bedeutung im Kontext eines mächtigen Diskurses, welcher sowohl die Vorstellungen der Sozialdemokratie, als auch des Stalinismus und Nationalsozialismus prägte. Richtete sich dieses Zitat bei der etatistischen und autoritären Linken gegen die „parasitären“ Klassen wie Großgrundbesitzer und Kapitalisten, welche den Mehrwert der ArbeiterInnenklasse abpressen würden, ohne dafür auch nur einen Finger zu rühren, so wurde es im Nationalsozialismus zur sozialdarwinistischen Programmatik.
Heute noch stellt diese Überzeugung, dass wer nicht arbeitet, auch nicht essen soll, einen Grundpfeiler unserer Arbeitsgesellschaft dar. Sowohl die sozialdemokratische Linke, als auch konservative Kreise stimmen darin überein und wissen sich hierbei von einem breiten, gesellschaftlichen Konsens legitimiert. Schließlich müsse es doch um Leistungsgerechtigkeit gehen, darum, dass den Faulen verwehrt bleibt, was die Fleißigen erarbeiten. Das dem jedoch ein sehr einseitiger Arbeitsbegriff zugrunde liegt, welcher systematisch gesellschaftlich wertvolle Tätigkeiten und soziale Gruppen wie Arbeitslose und Frauen diskriminiert, sowie einen zentralen Pfeiler der herrschenden Ideologie darstellt, soll im Folgenden erörtert werden.


Arbeitsgesellschaft ohne Arbeit
„Wir erleben das Paradox einer Arbeitsgesellschaft ohne Arbeit. [...] Die Produktivitätssteigerung, die Verlagerung, Mechanisierung, Automatisierung, Digitalisierung der Produktion sind dermaßen fortgeschritten, dass sie die für die Herstellung jeder Ware notwendige Menge an lebendiger Arbeit auf fast nichts reduziert haben.“[1] Diese Gedanken entspringen der Feder von situationistischen AnarchistInnen aus Frankreich, deren Manifest 2011 selbst in den konservativste Feuilletons streckenweise wohlwollend rezipiert wurde. Nach Jahrzehnten von Arbeitsschaffungsmaßnahmen, Wirtschaftswachstum, Arbeitslosenumschulungen und all den anderen Strategien, welchen sich Berufspolitik und Bürokratie verschrieben haben, scheint die Analyse zuzutreffen: Die ersehnte Vollbeschäftigung wurde nie erreicht, und dies hat gute Gründe.
Nicht nur die oben beschriebene Automatisierung vernichtet im Kapitalismus systematisch Arbeitsplätze, sofern das Ersetzen von lebendiger Arbeit durch Maschinen Wettbewerbsvorteile bringt. Seit den 1970er Jahren greifen hier noch ganz andere Mechanismen, welche den Kapitalismus grundlegend transformiert haben und Vollbeschäftigung in Europa immer unwahrscheinlicher werden lassen. Die Globalisierung – hier verstanden als ein Prozess der ökonomischen und politischen Eliten, welcher zu einer verstärkten und zugleich einseitigen Integration der nationalen Binnenmärkte in den Weltmarkt führte – hat mit der Stärkung des Freihandels und der Liberalisierung der Finanzmärkte eine globale Arbeitsteilung verschärft, in welcher zunehmend arbeitsintensive Prozesse in die lohntechnisch günstigere Peripherie  und Semi-Peripherie (z.B. China, Indien, Brasilien) des Kapitalismus verlagert wurden. Dies führte zu einer beträchtlichen Vernichtung von Arbeitsplätzen für „Geringqualifizierte“ in den kapitalistischen Metropolen (EU, USA, Japan). Innerhalb der kapitalistischen Metropolen kam es zu einem neuen Arbeitsregime, welches auf die Präkarisierung und Flexibilisierung der Arbeitskräfte abzielt. Die hohe Arbeitslosigkeit sowie die Verschlechterung der bestehenden Arbeitsverhältnisse generiert den Zwang, welcher nötig ist, damit sich die Lohnabhängigen dem neuen Regime unterwerfen, dessen vorrangige Sorge die Wettbewerbsfähigkeit ist.
Gepaart sind diese Zwangselemente der Präkarisierung und der Bedrohung durch den sozialen Abstieg mit dem protestantisch-kapitalistischen Arbeitsethos, welches uns beständig von Seiten der Politik, Bürokratie und Wirtschaft gepredigt wird. Die Gesellschaft benötige (Lohn-)Arbeit um sich reproduzieren zu können, das Individuum benötige (Lohn-)Arbeit um aktiv, schöpferisch und glücklich sein zu können, die (Lohn-)Arbeit ist eines der höchsten Güter, wer sich der (Lohn-)Arbeit verweigert, macht sich eines Verbrechens an der Gesellschaft schuldig, wer nicht (lohn-)arbeitet, soll nicht essen. Ständig hören wir das Mantra, dass es Wirtschaftswachstum brauche um Arbeitsplätze zu schaffen. Vollbeschäftigung ist das höchste und nobelste Ziel, dass uns die Berufspolitik anzubieten hat. In vergangen Jahrhunderten wurde so wenig Arbeit wie nötig noch als Segen angesehen. Im Namen der Mission Arbeitsplätze, welcher sich alle Parteien überall verschrieben haben, werden Steuererhöhungen, Steuersenkungen, Kapitalstromliberalisierung, Kapitalstromregulierung, Bürokratieabbau, Aufbau von Arbeitsämtern, werden Bankenrettungen und Konjunkturpakete in Angriff genommen.

Hohelied von der Arbeit?
Sprache kann verräterisch sein. Auf die Frage nach dem Beruf, antworten viele im deutschsprachigen Raum „ich bin Tischler“, oder „ich bin Arzt“ usw... Darin drückt sich die Identifikation des eigenen Selbst mit der Profession unvermittelt aus, in der Arbeitsgesellschaft sind wir unsere Lohnarbeit. Sogar in der gegenwärtigen Arbeitswelt führt die zunehmende Prekarisierung nicht zu einer zunehmenden Relativierung der Lohnarbeit und Aufwertung anderer Tätigkeiten. Der prekäre Job stellt einen Übergang dar, er ist Vorbereitung oder Überbrückung, Provisorium oder Lückenfüller in der Erwartung auf etwas Besseres, auf das Erfüllende, was da noch kommen soll. Schließlich brauchen wir so was, eine erfüllende Arbeit, für sie müssen wir ja letztlich den Großteil unserer Lebenszeit opfern.
Produktive Mitglieder einer Gesellschaft, das sind lohnarbeitende Mitglieder. Lohnarbeit und Produktivität sind einander ein Synonym. Produktiv ist jene Arbeit, die ein Unternehmen oder Staat kauft, die benötigt wird zur Verwaltung der Bürokratie, oder der Herstellung von Waren, oder dem Trainieren des Tötens für die Politik mit anderen Mitteln. Hausarbeit, die Grundlage für die Reproduktion unserer Gesellschaft, familiäre Pflege, Volontariat, Vereinsarbeit, betreuen und spielen mit Kindern, weite bereiche der Kultur- Kunstarbeit, politische Arbeit außerhalb staatlicher Institutionen, Bildungsarbeit außerhalb von Schulen und Universitäten, die Liste der nichtentlohnten, ökonomisch „unproduktiven“ und dennoch zutiefst sinnvollen Tätigkeiten ließe sich beliebig fortsetzen. In vielen dieser Bereiche engagieren sich vorwiegend Frauen, aber auch Arbeitslose, Migranten ohne Arbeitsrecht, sowie Menschen, die sich noch in Ausbildung befinden. Sie alle leisten wertvolle „Gratis-Arbeit“, ohne die sich der Kapitalismus nicht reproduzieren könnte. Dennoch werden sie von unserer Arbeitsgesellschaft systematisch diskriminiert, am klarsten ersichtlich an den Arbeitslosen, die grundlegende BürgerInnenrechte, wie etwa ihre Bewegungsfreiheit oder den Schutz ihrer Privatsphäre weitestgehend verlieren. Die Bürgerrechte, von denen die VerfechterInnen des liberalen Kapitalismus schwärmen, sind in vielerlei Hinsicht Erwerbstätigenrechte. Wer nicht arbeitet, soll demnach gerade mal zu essen haben, er/sie soll auch nicht frei sein und reisen und er/sie soll schon gar nichts vor dem Staat verbergen dürfen, er/sie soll dem Leviathan und seiner Disziplinierung zur Arbeit ausgeliefert sein, er/sie soll alles dankbar Annehmen, selbst wenn er/sie gezwungen ist, für einen Euro die Stunde Straßen zu kehren, denn jede Arbeit sei schließlich besser als gar keine Arbeit.
Unsere Gesellschaft singt das Hohelied von der (Lohn-)Arbeit. Heute beseitigt sie selbst jenen feinen Unterschied, der ihr einst ihr menschliches Antlitz so mühsam bewahrt hat, sie hasst nicht mehr nur die Arbeitslosigkeit, sie hasst immer mehr die Arbeitslosen. Die Pfaffenmoral des Arbeitsethos wird umso unerbittlicher, je mehr die Lohnarbeit selbst verschwindet.

Kontrolle, Zwang und Herrschaft im Namen der Arbeit
Der Kapitalismus könnte sich nicht nur nicht reproduzieren, gäbe es all die unbezahlten Tätigkeiten, welche außerhalb der Lohnarbeit stattfinden, nicht. In zunehmendem Maße subsumiert er unser gesamtes Leben unter die Kapitalakkumulation, die innovativsten Kapitalien erzielen Gewinne mit und durch uns und dessen, was uns allen im selben Maße gegeben sein sollte, unsere Umwelt und die Natur. Ganze Gencodes werden patentiert, Saatgut wird zu Firmeneigentum, Wasser wird privatisiert, Gemeindeland in der Peripherie des globalen Weltsystems eingehegt, über die Social Media werden unsere sozialen Beziehungen und die Daten, welche sich daraus ergeben, verkauft, das Wissen, welches Menschen gemeinsam, kooperativ und in einem akkumulativen Prozess produzieren, wird in die Warenform gepresst. Profit durch Enteignung, Profit durch Aneignung dessen, was wir  durch unsere Kreativität schaffen.
Lohnarbeit ist Ausbeutung. Von dem Wert, den wir produzieren, erhalten wir als Arbeitskräfte lediglich einen Bruchteil in Form der „Entlohnung“ unserer Arbeitsstunden. Nun enteignet uns das Kapital auch noch unsere letzen, gemeinschaftlichen Ressourcen, es zerstört unsere ökologische Lebensgrundlagen und  kommodifiziert unser Menschsein. Der Lohn dafür ist der Verlust unserer Würde. Die, die in der arbeitslosen Arbeitsgesellschaft ohne Arbeit dastehen, sind ihr auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Der Staat nimmt seine Aufgabe ernst, er „befähigt“ die BürgerInnen durch seine Biopolitik zur Arbeit, und wenn es schon keine Arbeit gibt, so wird wenigstens aktiviert, geschult und kontrolliert. Die Reservearmee an Arbeitslosen soll sich schließlich nicht in Muße üben, soll nicht das Leben außerhalb der Lohnarbeit kennen lernen, soll nicht auf dumme Gedanken kommen. Sie soll trainieren, soll am Morgen aufstehen, auch wenn es dafür keinen Grund gibt. Der Staat wird schon einen finden, wie wär’s mit einem AMS-Kurs, zum erlernen von Microsoft Word? Die Menschen sollen Arbeiten, sie sollen für einen Euro die Stunde das Laub im Park fegen, das ansonsten die Käfer fressen. Jede Arbeit sei schließlich besser als gar keine Arbeit, es müsse schließlich gegen die Gefahr der Lethargie angegangen werden. Denn im Kapitalismus ist nicht sinnvoll was Freude macht oder notwendig ist, sondern was Gewinn verspricht.  Deshalb sollen sie ruhig acht Stunden für acht Euro am Tag arbeiten, diese Arbeitslosen. Der Rest, welcher ihnen zum anerkannten Existenzminimum fehlt, wird ihnen schließlich vom gütigen Staat aufgestockt. Sie sollen satt werden, damit sie Leben können, erleben sollen sie nichts. Sie sollen buckeln und die Würdelosigkeit und Demütigung ertragen, die sie auf dem Arbeitsamt erwartet, wenn sie alles offen legen müssen, wenn der Staat sich für ihre Liebschaften interessiert, wo er wissen will, ob sie in einer „eheähnlichen“ Gemeinschaft leben, wo er wissen will, wo sie sich befinden, immer, beständig, kontrollierend. Die Arbeitslosen werden vom Staat zu Don Quijoten gemacht, sie sollen an einer vergangenen Zeit festhalten und hoffen, dass sie wiederkommt, die Ära der Vollbeschäftigung. Ihre Windmühlen sind die Weiter- Fort- Um- und Verbildungen in die sie genötigt werden.

Das Bedingungslose Grundeinkommen: Ein Stück Würde!
Das BGE entreißt dem Kapital und Staat ein Stück seiner Macht und gibt uns ein Stück unserer Würde zurück. Es schränkt den Zugriff der Herrschaft etwas ein, denn es relativiert die Lohnarbeit. Mit ihm müssen wir nicht jeden Drecksjob mit knechtischer Dankbarkeit annehmen, wir müssen nicht ins Arbeitsamt uns schikanieren lassen, wir müssen uns nicht rechtfertigen, wenn wir länger studieren um unser Denken zu bereichern, wir müssen dann so vieles nicht und dürfen und können umso vieles mehr.
Wie bereits beschrieben, baut das aktuelle, kapitalistische Regime auf die Prekarisierung auf, es baut auf unsere Verunsicherung. Die ökonomisch und politisch Herrschenden organisieren den Zugriff, sie MACHEN uns prekär. Sie wissen was ein BGE für sie bedeuten kann. Wo sie es nicht wissen, oder zumindest nicht an seine emanzipatorische Wirkung glauben wollen, zementiert ihr donquijotenhaftes  Denken ihre Opposition. Sie glauben dann trotz endlicher Ressourcen weiterhin an ihr Wachstum, trotz Automation, Produktivkraftentwicklung und dem Ende der industriellen Hegemonie an Vollbeschäftigung. Sie hoffen, dass der Tote als Zombie aus seinem Grab steigt. An ihren ökonomischen Dogmen festhaltend zerstören sie unsere Chancen auf ein gutes Leben für alle.
Das BGE kann nicht das Resultat von Gnade sein, ist nicht das Soziale an der Marktwirtschaft, will nicht erbittet werden, ist keine Mildtätigkeit für „die Wenigen, die durch das System fallen“. Es ist eine Forderung und Kampfansage gegen die Entmenschlichung, gegen die Starrhalsigkeit des Don Quijote, der an der alten Zeit festhält. Es ist eine Forderung für eine neue Zeit, für unsere Würde. Als Forderung soll es die soziale Auseinandersetzung um unsere Emanzipation von Herrschaft und Barbarei beleben. Wir wollen es, weil es unser Recht ist. Das BGE kann eine Perspektive in Richtung eines Stücks guten Lebens im Hier und Jetzt eröffnen. Die Aussicht auf ein gutes Leben können uns unsere Berufspolitiker und Wirtschaftskapitäne nicht geben, wir müssen sie selbst freilegen, wir müssen selbstbewusst und selbstmächtig unsere Würde einklagen und das BGE kann uns dabei helfen.


[1] Unsichtbares Komitee (2010): Der kommende Aufstand, Hamburg: Verlag Lutz Schuldenburg, S. 29

2 commenti:

  1. http://wiki.piratenpartei.de/Benutzer:Seahorse/BGE#BGE_als_Trojanisches_Pferd

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  2. http://www.postwachstumsoekonomie.org/Schachtschneider_TX_Freiheit__Gleichheit__Genugsamkeit-_Beitrag_Linksreformismus.pdf

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