sabato 6 settembre 2014

Wir haben was zu sagen! - Kommentar

"Aus aktuellem Anlass sei angemerkt, dass es immer heißt, dass man sich früher oder später an alles gewöhnt, dass der Mensch ein sogenanntes Gewohnheitstier ist und sich irgendwann mit allen möglichen Missständen abfindet. Irgendwie scheine ich, mit vielen anderen Kulturschaffenden, aber nicht zu dieser Spezies der Gewohnheitstiere zu gehören. Denn meine Wut, mein ziviler Ungehorsam und meine Erbostheit über die Borniertheit und Verschlossenheit mancher "Großkopfeten" in diesem Land wächst von Mal zu Mal und mit jeder weiteren Meldung darüber, dass wieder einmal eine der vielen alternativen und ehrenamtlichen Veranstaltungen in diesem Land mit irgendwelchen Prügeln, angsterfüllten Bürgermeistern, Sicherheitsfetischisten oder übertrieben arrogant-autoritären Polizeikräften, die schon lange das rechte Maß verloren haben, zu kämpfen haben.

Initiativen, Kulturschaffende und Musiker sowie Künstler aus der alternativen Szene gibt es in Südtirol mittlerweile fast schon wie Sand am Meer. Ich habe im Laufe der letzten 10 Jahre viele dieser engagierten und feinfühligen, kreativen und musischen Menschen kennengelernt. Die Szene ist bunt, aufregend und bietet in allen Sparten, Genres und Ausstaffierungen immer wieder Neues, Spannendes und Bereicherndes. Allein in diesem Sommer gab es über 60(!) verschiedene, kleinere und größere Musikfestivals und Open Airs zwischen Brenner und Salurn. Solche aus der Rockszene, andere die dem Punk, der Ska- oder der Reggae-Musik verfallen sind, wiederum andere, die mit grungigen oder folkigen Klängen ihr Publikum begeistern konnten, solche die der heimischen Elektronikszene ein breites Programm anbieten, jene die dem Hip-Hop neue Türen öffnen, schwierige, komplizierte, einfach gestrickte und gänzlich andere, die nur schwer einzuordnen, zu definieren sind, die lauten und harten, die ganz ruhigen und leisen, aber doch immer solche, die etwas zu sagen haben.

Allen ist gemeinsam, dass sie abseits der Feuerwehr- und Schützenfeste, abseits der Kirchtage, Dorffeste, Weinverkostungen und brauchtums- bzw. traditionsgebundenen Veranstaltungen in Südtirol eine Alternative darstellen möchten. Aber niemand, den ich in meiner kulturellen Schaffenstätigkeit kennengelernt habe, wäre jemals auf die Idee gekommen die klassischen Feste und Events in Südtirol schlecht zu reden oder diesen das Existenzrecht abzusprechen, im Gegenteil. Jedem Veranstalter und Kulturschaffenden, der Menschen zusammenbringt, um diesen dann in der Folge die Möglichkeit zu bieten gemeinsam zu feiern, sich abseits von Arbeit und sonstigen Verpflichtungen des Lebens anderweitig ausleben zu können, andere Leute zu treffen, zu lachen und zu tanzen, dem sollte ein Mindestmaß an Respekt und Anerkennung zuteil werden. Es ist nicht selbstverständlich, in monatelanger Kleinstarbeit und Vorbereitung sich für die Allgemeinheit einzusetzen und ehrenamtliche Stunde um Stunde abzudrücken, nein, es ist ein Geschenk, ein wohlwollendes Zeichen an und für eine offene und freiere Gesellschaft. All diesen Menschen gebührt ein großer Dank und dies vor allem deshalb, weil sie den Besuchern dieser Veranstaltungen und Feste die Möglichkeit der kulturellen Vielfalt und Abwechslung bieten, weil jeder frei nach Geschmack und Lust sich dort hin begeben kann, wo es ihm/ihr am besten gefällt, wo er/sie sich am wohlsten fühlt.

Nicht alle Gemeinden und Bürgermeister Südtirols machen es den alternativen Kulturschaffenden schwer. Es gibt solche und solche. Dennoch musste man in den letzten Jahren aufgrund vieler Beobachtungen und auch aufgrund vieler eigener Erfahrungen feststellen, dass es sehr viele engagierte Menschen gibt, welche große Schwierigkeiten haben wenn es darum geht, Lizenzen und Genehmigungen für solche Veranstaltungen zu erhalten. Der Fall des Miracle Hill und die Posse mit der Polizei und dem Bürgermeister von Völs steht letztlich nur stellvertretend für all jene Festivals und Konzerte die es schon lange nicht mehr gibt, die mit Polizeiwillkür zu kämpfen haben, denen man im Dorf und auch in der Stadt zu verstehen gegeben hat, dass es den Entscheidungsträgern und Herrschenden lieber wäre, wenn es solche Veranstaltungen nicht geben würde. Dass Südtirol ein Land sei, dessen Erfolg in erster Linie auf dem Tourismus für Senioren aus dem deutschsprachigen Raum fußt und es daher nicht angebracht sei, wenn während der Hochsaison diese Geldbringer in ihrem wohlverdienten Urlaub gestört werden. Die engmaschigen Verbindungen zwischen Tourismustreibenden und Politik haben in diesem Land ein Maß erreicht, das dazu beigetragen hat, dass all jene, die nicht in diese Prozesse eingebunden sind und mit ihren Veranstaltungen letztlich zu lästigen Störenfrieden wurden, von diesen Gruppen geächtet und in ihren kreativen Impulsen beschnitten und aufgehalten worden sind.

Letztlich haben diese Drangsalierungen und die vielen Verbote auch dazu geführt, dass kreative, talentierte und motivierte junge Menschen diesem Land den Rücken gekehrt haben und in Städte und Länder ausgewandert sind, die sie mit offenen Armen empfangen haben. Dieser Vorgang nennt sich im Englischsprachigen "braindrain" und bedeutet letztlich nichts anderes als "Gehirn-Abfluss", im Sinne von Talentschwund und dadurch in unmittelbarer Folge Abwanderung der Intelligenz. Akademiker, Künster und Kulturschaffende verlassen in Scharen dieses Land und niemand scheint sich besonders daran zu stören. Denn in Südtirol gibt es eine bestimmte gesellschaftliche, konservative, dem Besitz zugetanene Bevölkerungsschicht, die entweder aus dem Tourismus oder der Landwirtschaft kommt und der nichts mehr gelegen kommt, als dass diese Menschen nie wieder nach Südtirol zurückkehren, um die bestehenden Verhältnisse auch nicht im geringsten zu gefährden.
Wenn man sich dann weiters vor Augen führt, dass ein von minderjährigen Rappern mit migrantischem Hintergrund produziertes, wenig-professionelles Musikvideo für einen größeren gesellschaftlichen Aufschrei, mitsamt den einhergehenden, bösartigen, rassistischen Beißreflexen sorgt, als wenn ein Benefizfestival, das in monatelanger Kleinstarbeit geplant wurde, eine Woche vorher mit einer äußerst fadenscheinigen Begründung abgesagt werden kann, dann kann einem schon Angst und Bange werden.
Wenn mensch daraus folgend konstatieren muss, dass sich allzu viele schon längst an diese Dinge gewöhnt haben, dann kann das Fazit bzw. die Schlussfolgerung daraus nur lauten, dass eine eintönige Verdummung, eine geistig-moralische Zurückgebliebenheit mehr denn je von bestimmten Gruppierungen dieses Landes gewünscht und gefördert wird und den kreativen und musisch veranlagten Menschen zu verstehen gegeben wird, dass sie hier in diesem auf Tradition und Brauchtum, oder soll ich sagen, Geld bedachten Land, schlicht und einfach nicht willkommen sind. Wenn man sich dieser Dinge gesamtgesellschaftlich eingedenk wird und versteht, dass man es hier mit einer subtilen, nicht sofort erkennbaren Form von Gewalt zu tun hat, dann ist es mehr denn je an der Zeit, sich an den guten alten Platon zu erinnern, der damals schon wusste: "Kultur ist der Sieg der Überzeugung über die Gewalt." Wenn sich also nur mehr mutige und überzeugte Menschen in diesem Land diesen Missständen entgegenstellen und zusammentun würden - die Chance ist noch nie größer gewesen, eine Veränderung, einen Umsturz der bestehenden kulturellen und gesellschaftlichen Verhältnisse zu erreichen."

Thomas Kobler
Mitveranstalter Rock the Lahn und Vorstandsmitglied des Ostwestclubs


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