Ich kann gar nicht so viel ff-Wochenmagazin lesen, wie ich kotzen möchte. Schon allein das Cover der letzten Ausgabe (20/2013 vom 16.5.) reicht dazu: "Invasion der Bettler" heißt es in fetten Buchstaben. Die Kernaussage des Artikels:
Kriminelle Bettelbanden aus Rumänien suchen Südtirol heim und machen dabei fette Beute, während Polizei und Politik machtlos sind.
Was
Norbert Dall'Ó - langjähriger Chefredakteur der Zeitung, die sich als Südtiroler Qualitäts- und Leitmedium versteht - dabei auftischt, hat mit Journalismus nichts mehr zu tun: Es ist schlichtweg
falsch, tendenziös, einseitig und ungenau recherchiert. Jeder dieser Kritikpunkte soll im Folgenden klar dargelegt werden.
Falsche Aussagen
Der Verfasser stellt falsche Behauptungen auf, die er weder mit seinen Quellen belegen kann, noch einer wissenschaftlichen Überprüfung standhalten.
Die Behauptung der "kriminellen, organisierten Bettelbanden" zieht sich durch den ganzen Artikel: Auf dem Cover ist von "organisierte[n] Clans aus Rumänien" die Rede, in der Artikelüberschrift heißt es "Die Clans der Profibettler" und darunter:
"Sie kommen aus Rumänien, sind straff organisiert* [...] und erwirtschaften bis zu 8.000 Euro am Tag". Im Kasten (S.31) steht dann:
"Vielfach werden Roma bereits im jugendlichen Alter von kriminellen Banden zur Bettelei gezwungen, wobei die den Großteil der "Beute" an ihre Zuhälter abgeben müssen."
Wie wird diese Behauptung gestützt? Aus den zitierten Polizeiquellen geht meist lediglich hervor, dass die BettlerInnen "Profis" seien, was aber nur bedeutet, dass dies die einzige oder primäre Erwerbstätigkeit dieser Menschen ist. Auch der Brixner Stadtpolizist stellt nur vage Vermutungen über die angeblich "straffe Organisation" auf, wenn er beobachtet,
"dass sie [die Bettler] gemeinsam anreisen und sich zu Mittag im Herrengarten treffen, wo sie sich besprechen und mit belegten Brötchen stärken". Selbst der interviewte Polizeileutnant sagt klar und deutlich:
"Ob es sich um regelrechte Banden handelt, das kann ich Ihnen nicht
sagen. Wir haben zwar so unsere Vermutungen, aber Beweise gibt es dafür
nicht." Und auch auf der Seite der zitierten "Feldstudie des Attendorfer St.-Ursula-Gymnasiums" (zur Qualität dieser Quelle siehe weiter unten) heißt es vage:
"Ob es in Deutschland [...] organisierte Bettel-Syndikate gibt, lässt sich durch unsere
Beobachtungen weder bestätigen noch widerlegen." Für den Autor rüttelt das nicht am Mythos der Bettelbanden, vielmehr ist es einfach der Polizei in Südtirol "
bislang nicht gelungen, den Beweis für die Existenz einer „Bettlermafia“ zu erbringen." (S.36)
Was sagt die Wissenschaft dazu? Vor einem Jahr führten die Soziologieprofessoren Jean-Pierre Tabin und René Knüsel der Universität Lausanne für eine Schweizer Jugendbehörde eine Studie durch, die die Lebensbedingungen von Bettlern in der Stadt genauer analysieren sollte.
Ihr Fazit: Es gibt keine Bettelbanden, "
Bettelorganisationen sind eine Legende, die es bereits im Mittelalter gab." Und was hat es mit den Schätzungen auf sich, nach denen die einhundert rumänischen BettlerInnen in Südtirol
pro Tag 7.000 bis 8.000 Euro erhalten? Wenn die Summe pro Kopf angegeben wird (70 bis 80 Euro), klingt es erstens weit weniger spektakulär und ist zweitens dennoch viel zu hoch angegeben.
Tabin erklärt glasklar:
"Wie bereits andere Untersuchungen hat auch unsere Studie gezeigt, dass man mit Betteln auf ein tägliches Einkommen von 15 bis 20 Franken [12 bis 16 Euro] kommt. Stellen Sie sich jetzt vor, was für eine Organisation nötig wäre, um tatsächlich viel Geld zu verdienen. Man müsste ein Netzwerk von Hunderten oder sogar Tausenden Bettlern aufbauen, damit es finanziell interessant wird. Wenn Sie fähig sind, ein solches Netzwerk aufzubauen – glauben Sie wirklich, dass Sie sich dann auf das Bettelwesen konzentrieren würden? Es ist schlicht nicht lukrativ genug, es gibt keinen vernünftigen Grund dafür."
Tendenziöse Berichterstattung
Der Artikel enthält Wörter und Passagen, die die Voreingenommenheit des Autors ausdrücken.
Die Berichterstattung sowohl über den Vor-Ort-Besuch, als auch über BettlerInnen allgemein ist durch eine sehr negative Einstellung des Autors geprägt. Dies wird durch
abwertende Begriffe wie "hausen", "Clan" und "Beute" deutlich. Ganze sechs Mal schreibt der Autor absichtlich "
hausen" und nicht etwa "leben" oder "wohnen" - ein Wort, das mit Tieren in Verbindung gebracht wird. Und während etwa im Kasten (S.31) der Begriff "
Beute" (der einen Raub oder Betrug nahelegt) noch in Anführungszeichen gesetzt ist, schreibt der Autor weiter unten von "Clans aus Rumänien", die "auf Beutezug [...] gehen". Ebenso der "
Zigeuner"-Begriff, der sehr negativ behaftet ist: Im Kasten (S.31) schreibt der Autor zuerst ganz lapidar von Romas, "die umgangssprachlich auch als Zigeuner bezeichnet werden", nur um ein paar Seiten weiter von Roma zu schreiben, "die aber nicht in Zigeuner-Camps hausen, sondern in eigenen Clans". Und aus den "rumänischen Bettel-Clans" werden bis zum Schluss einfach "
Rumänen-Clans" (S.36) - eine Bezeichnung, die den
"Marokkaner-Dieben" der Tiroler FPÖ um gar nichts nachsteht.
Zudem wird durch mehrere Passagen die
negative Meinung des Autors deutlich. "Hier, unter dem Viadukt der MeBo, zwischen Eisenbahn und Etsch, hausen jene Menschen, die
landauf, landab als Angehörige der „Bettlermafia“ bezeichnet werden.", so der Autor. Diese Bezeichnung ist jedoch keineswegs allgemein gebräuchlich.
Und weiter:
"Auch in Südtirol wird jetzt verstärkt der Ruf nach einem Bettelverbot laut. Als am vergangenen Wochenende in einer Gruppe von Golfern in Reischach das Gespräch auf dieses Thema kam, wurde mächtig auf die Bürgermeister drauflosgeschimpft, die in dieser Sache „untätig, ja feige“ seien." Die "Gruppe von Golfern" dürften wohl kaum repräsentativ für Südtirol sein.
Nicht zuletzt die Darstellung der "politisch korrekten [Gutmenschen]":
"Bettlerplage, falsche Arme, Betrüger, Profi-Mitleidserreger. So die krasse Wortwahl der meisten Südtiroler, mit denen ff dieser Tage sprach. Einzig Sozialverbände wie die Caritas oder politische Gruppierungen wie die Grünen sprechen politically correct von „den Ärmsten der Armen, die ein Recht auf unsere Solidarität haben“.
Oder der Pfarrer, dem unterstellt wird, die BettlerInnen zu verhätscheln:
"Wolfgang Puchner, der „Grazer Armenpfarrer“, kümmert sich um sie –
offenbar dermaßen erfolgreich, dass die steirische Hauptstadt seit
Jahren über ein Verbot der organisierten Bettelei streitet."
Schlampige Recherche
Der Autor hat für den Artikel schlampig (bzw. gar nicht) recherchiert.
Neben den Polizeiaussagen, die das Gros der angeführten Quellen ausmacht (sieh dazu unten), zitiert der Autor großspurig eine
"Feldstudie des Attendorfer St.-Ursula-Gymnasiums in Deutschland", um seine These der Bettelbanden zu untermauern. Aus dieser Studie geht hervor,
"dass diese neue Art von Bettlern in ihren Heimatländern zum Teil „systematisch ausgesucht und sogar ausgebildet werden“, um diesen Job zu verrichten. Zur Ausbildung gehöre nicht nur das Vortäuschen von Behinderungen jeder Art, sondern auch der Umgang mit den Behörden und der Polizei sowie detaillierte Informationen über Rechte und Pflichten. Als würden sie einem strategischem Plan folgen, suche sich jeder Familienclan eine eigene Gegend aus."
Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich diese "
Feldstudie" als
Schulprojekt von OberschülerInnen, die sich bei ihren Vorbemerkungen (auf die sich der Autor
bezieht) auf
Boulevardmedien stützen und deren "Feldarbeit" von
RTL und RTL 2 begleitet wurde.
Von dieser gänzlich unseriösen
Quelle hat der Autor auch den
historischen Verweis von der Bettlerverordnung (S.35)
eins zu eins übernommen:
"Bettlerverordnungen gibt es im deutschsprachigen Raum seit dem Jahr
1478. Schon damals unterschied man in Nürnberg zwischen Menschen, die
mittels eines Bettelbriefes das Recht hatten, um mildtätige Gaben zu
bitten, und all den anderen, die meist von auswärts kamen und dieses
Recht nicht hatten.", heißt es im Artikel. Auf der SchülerInnen-Homepage ist zu lesen:
"Als Erste erließ deshalb die Stadt Nürnberg [...] 1478 eine so genannte "Bettlerordnung" [...] Meist legten die Bettlerordnungen auch fest, wer überhaupt zum Almosenempfang zugelassen war. In der Regel unterschieden die Stadtoberen hier strikt zwischen einheimischen und auswärtigen Bettlern."
Die
Ausführungen im Kasten (S.31) hingegen
scheinen von Wikipedia zu stammen, jedenfalls ist nirgends ersichtlich, dass der Autor auch nur etwas an
wissenschaftlicher Literatur zur Recherche des Themas herangezogen hat.
Nicht zuletzt die
"Bettlerlobby":
"Als Gegenreaktion auf die Kampagnen von rechts formierte sich eine
regelrechte „Bettlerlobby“. Deren Wortführerin in Österreich ist Marion
Thuswald." Diese Vereinigung hat natürlich nichts mit einer hochbezahlten Lobbyagentur zu tun, wie der Autor suggeriert, sondern ist ein lokaler Zusammenschluss von Straßenzeitungen und Sozialvereinen, die sich gegen die mediale und politische Verfolgung von BettlerInnen wehrt. Sie heißt übrigens "BettelLobby", Thuswald ist die Pressesprecherin der Wiener Sektion und die angebliche Aktion mit "rund 100 Menschen", von der im Artikel berichtet wird, existiert lediglich als
Aufruf.
Einseitige Darstellung
Der Autor hat für den Artikel sehr einseitig recherchiert und bezieht sich in seiner Darstellung fast ausschließlich auf eine Quelle (die Polizei).
Mit dem obigen Punkt verbunden ist die Einseitigkeit der Darstellung. Es
dominiert nur jene Sicht, die die These des Autors unterstützt (Problem Bettelbanden). Hierzu wird primär die Sicht der Polizei geschildert, die schon allein aufgrund ihrer Nähe zum "Geschehen" voreingenommen ist. Hier eine Liste der zitierten Personen aus dem
Polizeiapparat:
- Leutnant Nives Fedel von der Stadtpolizei Bozen...
- Gernot Wieland von der Stadtpolizei Brixen...
- Ein Südtiroler Stadtpolizist, der bittet, seinen Namen nicht zu nennen...
- die Stadtpolizei in Trient...
- Der Polizist, der das erzählt, ist frustriert [Meran]
- Eine Polizistin sagte gegenüber ff...
- Laut Polizei...
Daneben kommen kurz die Bürgermeister von Städten zu Wort, für die das "Tourismusimage" zentral ist und die ebenso die Sicht des Autors vertreten:
- Günther Januth, Bürgermeister von Meran
- Christian Ude, Bürgermeister von München
- Massimo Cacciari, Bürgermeister von Venedig
Die Gegenmeinung kommt lediglich in wenigen Zeilen von folgenden Organisationen zu Wort:
- Caritas Südtirol
- BettelLobby Wien
Dass hier eine ganze Story konstruiert wurde, die sich gut verkaufen lässt, sollte somit klar geworden sein.
von Andreas Fink
*Anmerkung: Alle Hervorhebungen in den Zitaten vom Verfasser dieses Blogartikels.