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Arabischer Frühling |
Über Kulturkampf, Fundamentalismus und Befreiung
Es gibt politische Positionen, die zwar verschieden sind, aber grundsätzlich miteinander vereinbar, weil sie die selben Grundannahmen oder Rahmenbedingungen teilen. Dann ist eine Diskussion sinnvoll und konstruktiv, etwa wenn zwei Antifaschistinnen über den Umgang mit den faschistischen Denkmälern diskutieren: Die Ansichten mögen sich zwar unterscheiden, beide teilen jedoch die gleichen politischen Werte. Es gibt aber auch Ansichten, die derart verschieden sind, dass jede vermittelnde Debatte scheitern muss - einfach weil sie von gänzlich unterschiedlichen Prämissen ausgehen. Dies ist der Fall, wenn heute vom Islam die Rede ist: Jeder Appell an eine "vernünftige Diskussion" oder "sachliche Auseinandersetzung" muss zwangsläufig scheitern, weil die Positionen etwa von Rechtspopulisten und AntifaschistInnen grundverschieden sind. Ein Konsens ist nicht möglich; es geht daher um die Frage, wer Recht hat und wer Unrecht.
Die Sichtweise der Rechtspopulisten geht vom Szenario des Kulturkampfes aus, in dem sich zwei oder mehrere "Kulturgemeinschaften" unversöhnlich gegenüberstehen: Auf der einen Seite das zivilisierte, christliche Europa, auf der anderen der barbarische Islam. Wenn sie von "dem Islam" sprechen, so klingt das nicht nur holzschnittartig, sondern ist es auch: Rechtspopulisten haben eine fixes Bild von dem, was "der Islam" - immerhin eine Religion mit weltweit knapp 1,5 Milliarden Gläubigen, darunter so verschiedene Strömungen wie der Arabische Sozialismus, der pluralistische Euroislam oder konservative Fundamentalisten - sein soll, und die Kontinuitäten zu den rassistischen Vorstellungen des 19. und 20. Jahrhunderts über den "Orient" sind offensichtlich.
Wenn heute in Ländern des Nahen Ostens vielfach fundamentalistische Gruppen an der Macht sind (wenngleich es dahinter meist starke säkulare und demokratische Kräfte gibt, wie etwa die Proteste im Iran 2009 oder der Arabische Frühling 2011 zeigen)
wird gerne vergessen, dass es nicht selten die "demokratischen und freien" westlichen Staaten selbst waren, die diese an die Macht gebracht haben. In Afghanistan etwa gab es in den 70er-Jahren eine starke säkulare Strömung und eine von Moskau unabhängige kommunistische Regierung, die zahlreiche Reformen im Bereich Bildung, Frauenrechte und Gleichstellung ethnischer Minderheiten vorantrieb. Es waren die USA, die die fundamentalistischen Mudschahedin-Gruppen unterstützten und die reaktionären Kräfte an die Macht gebracht haben - mit denen sie nun heute in einem blutigen Krieg selbst zu kämpfen haben, wie es die Ironie der Geschichte will.
Für die Rechtspopulisten hingegen gibt es nur "den Islam", der "so ist". Wenn dann von "Islamisierung" gesprochen wird, klingt das immer etwas nach Verschwörungstheorie: So als hätten "die Moslems" einen geheimen Plan, Europa zu unterwandern und zu kolonialisieren.
So als stecke hinter jedem kleinen Gebetshaus, hinter jedem muslimischen Friedhof Al Kaida persönlich, die damit nur einen Fuß in die Tür stellen wollen zwecks feindlicher Übernahme. Dass dabei fundamentale Menschenrechte nicht nur mit Füßen getreten, sondern schlicht verweigert werden (bei Demanega heißt es: "selbstverständlich herrscht Religionsfreiheit, ABER ausüben soll man den Islam nicht dürfen"), zeigt, wohin solche Ideologien führen. Mit dem Christentum - das so gerne vorgeschoben wird - hat das freilich sehr wenig zu tun; es dient nur als Feigenblatt, im Namen dessen eine brutale Politik der Ausgrenzung legitimiert wird (das selbe gilt etwa für so viele Fundamentalisten, die im Namen des Islam Machtpolitik betreiben).
Wie sieht eine antifaschistische, emanzipatorische Haltung aus? Zuallererst darin, das Gerede vom "Ausländerproblem" nicht mitzumachen. Wer diesen Begriff akzeptiert, hat schon verloren. Es gilt, die Unterscheidung von "Einheimische/Ausländer" als falsch zurückzuweisen. Es gilt, Migration nicht per se als ein Problem aufzufassen und die sozialen Konflikte hervorzuheben, die vielfach dahinter stecken (wenn häufig von MarrokanerInnen, AlbanerInnen etc. im Zusammenhang mit Kriminalität oder Drogendelikten zu lesen ist, dann kann das erstens mit der Schreibweise der JournalistInnen zusammenhängen, die die Herkunft gerade bei "Ausländern" betonen; zweitens hängt dies meist mit der prekären ökonomischen Situation zusammen, in die nicht-italienische StaatsbürgerInnen gedrängt werden und aufgrund derer sie zu Methoden greifen, die illegal sind). Eine emanzipatorische Sicht sieht den Islam nicht als einheitlichen Block, sondern als Religion mit unterschiedlichen Strömungen und Widersprüchen. Sie kritisiert offen und direkt fundamentalistische und repressive Tendenzen, wie sie es bei jeder Religion macht. Und
sie stellt sich auf die Seite der Verarmten, Prekarisierten, Ausgegrenzten - unabhängig von Herkunft und Religion, weil sie diese Differenzen in einer gemeinsamen Kultur der Befreiung zu überwinden trachtet.
Zwei Sichtweisen, zwei Standpunkte, die unvereinbar sind: Kulturkampf oder Kultur der Befreiung. Es geht nicht um Meinungen oder Wahlen, sondern um die Frage, was richtig ist.